Rz. 50
Unverzüglich nach der Amtsannahme ist der Testamentsvollstrecker gegenüber den Erben bzw. jedem Miterben verpflichtet, ein Nachlassverzeichnis zu erstellen, § 2215 Abs. 1 BGB. Da das Nachlassverzeichnis das wichtigste Kontrollmittel des Erben ist, meint unverzüglich "ohne schuldhaftes Zögern" i. S. d. § 121 Abs. 1 BGB. Folglich darf der Testamentsvollstrecker nicht abwarten, bis ihm das Testamentsvollstreckerzeugnis erteilt worden ist. Die Verpflichtung besteht vielmehr sogleich nach dem Erbfall und sobald der Testamentsvollstrecker den Umfang des Vermögens übersieht. Eine Aufforderung muss nicht erfolgen. Zwar ist eine Befreiung wegen § 2220 BGB nicht möglich, allerdings kann der Erbe auf den Schutz verzichten.
Wenngleich nach dem Wortlaut des § 2215 Abs. 1 BGB die Verpflichtung zur Errichtung eines Nachlassverzeichnisses nur gegenüber den Erben besteht, hat auch ein Nacherbe nach Eintritt des Erbfalls oder ein Pfändungsgläubiger des Erbteils wie auch ein Nießbrauchsberechtigter an einem Erbteil oder an der Erbschaft den Anspruch, vgl. §§ 1035, 1068 BGB. Indessen besteht eine entsprechende Verpflichtung gegenüber dem Vermächtnisnehmer oder Auflagenbegünstigten sowie gegenüber Pflichtteilsberechtigten grundsätzlich nicht. Eine mittelbare Verpflichtung kann sich jedoch aus der Haftungsnorm des § 2219 BGB ergeben.
Die Pflicht zur Errichtung des Nachlassverzeichnisses besteht gegenüber dem Erben, dem Nacherben nach Eintritt des Erbfalls, dem Pfandgläubiger eines Erbteils und dem Nießbrauchsberechtigten an einem Erbteil oder der Erbschaft, nicht aber gegenüber dem Vermächtnisnehmer, Auflagenbegünstigten oder Pflichtteilsberechtigten.
Kündigt der Testamentsvollstrecker noch vor Erstellung des Verzeichnisses zur Unzeit, hat er den Berechtigten den hieraus resultierenden Schaden zu ersetzen. Aufgrund der Verpflichtung, das Nachlassverzeichnis unverzüglich zu errichten, ist wohl stets eine Kündigung zur Unzeit anzunehmen.
Aus Haftungsgründen ist von der Kündigung der Testamentsvollstreckung vor Errichtung des Nachlassverzeichnisses dringend abzuraten.
Rz. 51
Im Nachlassverzeichnis sind alle Nachlassgegenstände und -rechte, die der Verwaltung des Testamentsvollstreckers tatsächlich unterliegen und die bekannten Nachlassverbindlichkeiten aufzulisten (Grundsatz der Vollständigkeit der Nachlasserfassung). Nachlassverbindlichkeiten sind nach § 1967 Abs. 2 BGB sowohl die vom Erblasser herrührenden Schulden (Erblasserschulden) als auch die aus Anlass des Erbfalls den Erben als solchen treffenden Schulden (Erbfallschulden). Da Steuerschulden dann Nachlassverbindlichkeiten sind, wenn sie in der Person des Erblassers entstanden bzw. generell Steuerschulden des Erblassers sind, sind auch sie in das Verzeichnis aufzunehmen. Mithin sind alle Aktiva und Passiva in das Verzeichnis aufzunehmen.
Sämtliche Gegenstände und Rechte müssen allein auf Grundlage des Verzeichnisses individualisierbar sein, sodass z. B. eine nur summarische Bezeichnung von Wertpapieren nicht ausreichend ist.
Auf Unsicherheiten in Bezug auf die Vollständigkeit des Verzeichnisses hat der Testamentsvollstrecker ebenso ausdrücklich hinzuweisen wie auf aus seiner Sicht seit dem Erbfall eingetretene Veränderungen.
Belege und Wertangaben sind dem Nachlassverzeichnis jedoch nicht beizufügen, da es nicht mit dem Inventar im Sinne von § 2001 BGB gleichzusetzen ist. Ungeachtet dessen ist der Testamentsvollstrecker gemäß § 2215 Abs. 1 BGB dazu verpflichtet, dem Erben bei der Errichtung des Inventars zu helfen.
Sollte der Testamentsvollstrecker seine ihm obliegende Verpflichtung zur Beihilfe gegenüber dem Erben verweigern, so hat letzterer die Möglichkeit, seinen Anspruch gerichtlich durchzusetzen.
Nach § 2215 Abs. 2 BGB ist das Verzeichnis mit der Angabe des Tages seiner Aufnahme zu versehen und vom Testamentsvollstrecker zu unterzeichnen. Auf Verlangen eines Erben hat der Testamentsvollstrecker seine Unterzeichnung gemäß § 129 BGB, §§ 36, 39, 40, 63 BeurkG öffentlich beglaubigen zu lassen. Die Kosten des Nachlassverzeichnisses trägt der Nachlass.
Da die Erstellung eines Nachlassverzeichnisses zur zentralen Pflicht des Testamentsvollstreckers gehört und er die Anordnungen des Erblassers befolgen muss, vgl. § 2216 Abs. 2 BGB, ist die Nichterstellung des Verzeichnisses eine grobe Pflichtverletzung. Verletzt der Testamentsvollstrecker schuldhaft i. S. d. § 276 BGB die ihm obliegenden Pflichten, so ist er den Erben bzw. Vermächtnisnehmern zum Schadensersatz gemäß § 2219 Abs. 1 BGB verpflichtet.
Da der Erbe nach § 2215 Abs. 3 BGB das Recht hat bei der Aufnahme des Verzeichnisses zugezogen zu werden, ist er über den Termin zu informieren. Missachtet der Testamentsvollstrecker diese Pflicht bewusst, kann dies einen Entlassungsgrund nach § 2227 BGB darstellen.
Muster
Nachlassverzeichnis
Nachlassverzeichnis vom ... (Zeitpunkt der Aufnahme der Testamentsvollstreckertätigkeit)
in der Nachlasssache des ..., geboren am ... in ..., verstorben am ... in ...
I. Aktiv...