Leitsatz
Enthält die schuldrechtliche Vereinbarung über die Bestellung eines Wohnungsrechts keine Regelung, wie die Wohnung genutzt werden soll, wenn der Wohnungsberechtigte sein Recht wegen Umzugs in ein Pflegeheim nicht mehr ausüben kann, kommt eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht. Eine Verpflichtung des Eigentümers, die Wohnung zu vermieten oder deren Vermietung durch den Wohnungsberechtigten zu gestatten, wird dem hypothetischen Parteiwillen im Zweifel allerdings nicht entsprechen.
(amtlicher Leitsatz des BGH)
Normenkette
BGB § 1093
Kommentar
Im Jahr 1979 bestellte die Eigentümerin eines Mehrfamilienhauses ihrer Mutter ein dingliches, unentgeltliches Wohnrecht an einer im Erdgeschoss gelegenen Wohnung. Die Mutter hat das Wohnrecht bis zum Jahr 2001 ausgeübt. Sodann übersiedelte sie in ein Pflegeheim, wo sie seither betreut wird. Die Pflegekosten werden von der Sozialbehörde getragen.
Die Wohnung wurde von der Eigentümerin nach dem Auszug ihrer Mutter zu einem Entgelt von 400 EUR monatlich vermietet. Die Sozialbehörde hat den "vertraglichen Ausgleichsanspruch für das nicht mehr in natura wahrnehmbare Wohnrecht" auf sich übergeleitet. Sie nimmt die Eigentümerin nunmehr auf Zahlung von ca. 10.000 EUR in Anspruch. Der BGH hatte zu entscheiden, ob der Eigentümer zur Vermietung der Wohnung berechtigt oder gar verpflichtet ist, wenn der Berechtigte das Wohnrecht auf Dauer nicht mehr ausüben kann und ob er im Fall der Vermietung die Mieteinnahmen an den Inhaber des Wohnrechts herausgeben muss.
Der BGH hat mit Urteil vom 19.1.2007 (V ZR 163/06, NJW 2007, 1884) ausgeführt, dass ein dingliches Wohnrecht auch dann fortbesteht, wenn es der Berechtigte nicht mehr ausüben kann. Zwar gilt der Grundsatz, dass ein Wohnrecht erlischt, wenn seine Ausübung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen dauernd unmöglich wird (BGH, NJW 1964, 1226).
Umzug in Pflegeheim
Der Umzug eines Berechtigten in ein Pflegeheim genügt hierfür nicht, weil diesem die Möglichkeit verbleibt, die Ausübung des Rechts einem Dritten zu überlassen.
Ein in der Person des Berechtigten liegendes Ausübungshindernis führt deshalb nicht generell zum Erlöschen des Wohnrechts, auch wenn das Hindernis auf Dauer besteht. An dieser Rechtsprechung hält der BGH fest.
Das führt zu der Frage, ob dem Berechtigten ein Zahlungsanspruch gegen den Eigentümer zusteht, wenn dieser die Wohnung nach dem Auszug des Wohnrechtsinhabers vermietet. Der BGH stellt hierzu klar, dass sich ein solcher Anspruch nicht aus dem dinglichen Recht als solchem, sondern nur aus den zwischen den Parteien getroffenen schuldrechtlichen Vereinbarungen ergeben kann.
Eine ausdrückliche Vereinbarung hatten die Parteien nicht getroffen. Eine Anpassung des Vertrags nach den Grundsätzen des Wegfalls der Vertragsgrundlage scheidet aus, weil diese Grundsätze nur bei einer unvorhergesehenen Änderung der tatsächlichen Umstände anwendbar sind. Daran fehlt es, wenn das Ausübungshindernis aus dem Alter oder dem Gesundheitszustand des Berechtigten herrührt. Mit dem Eintritt solcher Umstände ist nämlich stets zu rechnen.
Jedoch ist bei einer fehlenden Vertragsregelung zu prüfen, ob eine von den Parteien nicht vorhergesehene planwidrige Regelungslücke vorliegt und ob diese nach den Regeln über eine ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden kann. Die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke ist nach Meinung des BGH naheliegend, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass der dauernde Leerstand einer zur Vermietung geeigneten Wohnung von den Parteien nicht gewollt ist.
Einzelfallprüfung
Die danach erforderliche Lückenfüllung richtet sich stets nach den Umständen des Einzelfalls. Maßgeblich ist, "was redliche und verständliche Parteien in Kenntnis der Regelungslücke nach dem Vertragszweck und bei sachgemäßer Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben vereinbart hätten".
Hierbei gelten nach Meinung des BGH die folgenden Grundsätze:
1. Der Umstand, dass der Berechtigte dauerhaft pflegebedürftig und dass die Wohnung zur Vermietung geeignet ist, spricht für eine Berechtigung des Eigentümers zur Vermietung.
2. Eine Verpflichtung zur Vermietung entspricht in der Regel nicht dem hypothetischen Parteiwillen.
3. Wird die Wohnung vermietet, kann der hypothetische Parteiwille ergeben, dass das Entgelt dem Berechtigten zustehen soll, wenn das Wohnungsrecht Teil der Altersversorgung des Berechtigten darstellt.
4. Nutzt der Eigentümer die Wohnung für eigene private Zwecke oder überlässt er sie kostenfrei einem nahen Angehörigen, so ist im Zweifel nicht anzunehmen, dass er dem Berechtigten für diese Art der Nutzung ein Entgelt zahlen muss.
Der BGH hat das Verfahren an das Berufungsgericht zurückverwiesen, weil zur Entscheidung über eine ergänzende Vertragsauslegung noch weitere Feststellungen zu treffen waren.
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil vom 09.01.2009, V ZR 168/07, NJW 2009, 1348