Leitsatz

Bei einem schuldrechtlichen Wohnrecht kann sich im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ergeben, dass der Verpflichtete an den Berechtigten eine Geldrente zu bezahlen hat, wenn dieser die Wohnung gesundheits- oder altersbedingt aufgibt und in ein Pflegeheim umzieht.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Normenkette

BGB § 311

 

Kommentar

Im Jahr 1978 verkaufte der Eigentümer ein landwirtschaftlich genutztes Anwesen, das u.a. mit einem Wohnhaus bebaut ist, zum Preis von 45.000 DM. Darüber hinaus verpflichtete sich der Erwerber, an den Veräußerer eine monatliche Rente von 200 DM zu bezahlen. Schließlich vereinbarten die Parteien zugunsten des Veräußerers ein lebenslanges schuldrechtliches Wohnrecht an einer in dem Haus gelegenen Wohnung, das durch eine Reallast dinglich gesichert wurde. Im Jahr 2010 wurde der Veräußerer pflegebedürftig. Er lebt seitdem in einem Pflegeheim. Er nimmt den Erwerber zum Ausgleich für die Aufgabe der Wohnung auf Zahlung einer Rente in Höhe von 220 EUR monatlich in Anspruch.

Der BGH hat mit Urteil vom 19.1.2007 (V ZR 163/06, NJW 2007 S. 1884) ausgeführt, dass ein dingliches Wohnrecht auch dann fortbesteht, wenn es der Berechtigte nicht mehr ausüben kann. Zwar gilt der Grundsatz, dass ein Wohnrecht erlischt, wenn seine Ausübung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen dauernd unmöglich wird (BGH, Urteil v. 11.3.1964, V ZR 78/62, NJW 1964 S. 1226).

Praxis-Beispiel

Umzug ins Pflegeheim

Der Umzug eines Berechtigten in ein Pflegeheim genügt hierfür nicht, weil diesem die Möglichkeit verbleibt, die Ausübung des Rechts einem Dritten zu überlassen.

Ein in der Person des Berechtigten liegendes Ausübungshindernis führt deshalb nicht generell zum Erlöschen des Wohnrechts, auch wenn das Hindernis auf Dauer besteht. An dieser Rechtsprechung hält der BGH fest.

Das führt zu der Frage, ob dem Berechtigten ein Zahlungsanspruch gegen den Eigentümer zusteht, wenn dieser die Wohnung nach dem Auszug des Wohnrechtsinhabers vermietet. Der BGH stellt hierzu in dem Urteil vom 9.1.2009 (V ZR 168/07, NJW 2009 S. 1348) klar, dass sich ein solcher Anspruch nicht aus dem dinglichen Recht als solchem, sondern nur aus den zwischen den Parteien getroffenen schuldrechtlichen Vereinbarungen ergeben kann.

In dem Entscheidungsfall hatten die Parteien kein dingliches, sondern ein schuldrechtliches Wohnrecht vereinbart. In einem solchen Fall kommt nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil v. 9.1.2009, V ZR 168/07, NJW 2009 S. 1348; s.a. die Aktuelle Information "Dingliches Wohnrecht: Was gilt, wenn der Berechtigte die Wohnung infolge Pflegebedürftigkeit aufgeben muss?", CD-ROM HI2148036) eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht, wenn der Bestellungsvertrag eine von den Parteien nicht vorhergesehene planwidrige Regelungslücke enthält. Die danach erforderliche Lückenfüllung richtet sich stets nach den Umständen des Einzelfalls. Maßgeblich ist, "was redliche und verständliche Parteien in Kenntnis der Regelungslücke nach dem Vertragszweck und bei sachgemäßer Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben vereinbart hätten" (BGH, a.a.O.).

Das Gericht führt hierzu aus, dass der Wohnrechtsbestellungsvertrag Versorgungscharakter hatte, weil dadurch der Wohnbedarf des Veräußerers gedeckt werden sollte. In einem solchen Fall liegt es nahe, dem Wohnrechtsinhaber für den Fall des Umzugs in ein Pflegeheim zum Ausgleich für die Aufgabe der Wohnung eine Geldrente zuzubilligen. Voraussetzung ist allerdings, dass dem Verpflichteten die Vermietung der freigewordenen Wohnung zugemutet werden kann. Daran kann es fehlen, wenn zwischen den Parteien ein persönliches Näheverhältnis besteht oder wenn die vom Wohnrecht umfassten Räumlichkeiten keine abgeschlossene Wohnung bilden.

Hier bestanden keine rechtserheblichen Vermietungshindernisse, sodass eine ergänzende Vertragsauslegung in Erwägung zu ziehen war.

Anmerkung

Höhe der Geldrente

Hinsichtlich der Höhe der Rente orientiert sich das Gericht an der Regelung in § 14 des BGB-Ausführungsgesetzes für Baden-Württemberg (AGBGB-BW v. 26.11.1974, GBl S. 498). Dort ist für Altenteilsverträge bestimmt, dass sich die Höhe der Rente "nach dem geschätzten Wert der Vorteile (bemisst), die der Schuldner dadurch erlangt, dass er von der Verpflichtung zur Überlassung der Wohnung ... befreit wird". Diese Vorteile sind nach dem Mietwert der Wohnung zu bemessen.

 

Link zur Entscheidung

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29.09.2010, 4 W 78/10

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