Leitsatz
Die Ermittlungsbehörden dürfen wegen Gefahr im Verzug eine Durchsuchung ohne richterliche Anordnung auch dann anordnen, wenn sich der Ermittlungsrichter weigert, einen Beschluss ohne Vorlage der Verfahrensakte zu erlassen.
Sachverhalt
Der wegen Rauschgifthandels verurteilte Angeklagte macht ein Beweisverwertungsverbot geltend, weil ohne richterliche Anordnung durchsucht worden war. Die zuständige Ermittlungsrichterin hatte erklärte, sie könne ohne Vorlage der Ermittlungsakte keinen Durchsuchungsbeschluss erlassen. Vor diesem Hintergrund hatte die ermittelnde Staatsanwältin die Durchsuchung selbst angeordnet, weil aus ihrer Sicht andernfalls der Verlust von Beweismitteln gedroht hätte. Der BGH billigte diese Handlungsweise.
Entscheidung
Die rechtmäßige Inanspruchnahme der Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft nach § 105 StPO setzt voraus, dass die richterliche Anordnung nicht eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme gefährdet wird. Diese Voraussetzungen liegen auch vor, wenn die Ermittlungsrichterin meint, ohne Aktenkenntnis nicht entscheiden zu können, und der Verlust der möglichen Beweismittel zeitnah droht. Bei einer solchen Sachlage fehlt es an einer eigenverantwortlichen Prüfung und Entscheidung durch die Ermittlungsrichterin. Nur dann wäre die Staatsanwaltschaft aber daran gehindert, selbst die Durchsuchung anzuordnen.
Einer Verhinderung von Beweismittelverlusten durch Wahrnehmung der Eilkompetenz stehen verfassungsrechtliche Einwände nicht entgegen. Ein derartiges Vorgehen entspricht der verfassungsrechtlichen Gewährleistung einer rechtsstaatlich geordneten Rechtspflege. Sie muss zwar die Rechte des Beschuldigten nachhaltig sichern. Zu ihr gehört aber auch eine wirksame Strafverfolgung. Daher müssen die Strafverfolgungsbehörden die Entscheidung, ob auf Grund der konkreten Umstände des Einzelfalls von der Gefahr eines Beweismittelverlusts auszugehen ist, so rechtzeitig treffen können, dass dieser Gefahr wirksam begegnet werden kann. Dies gilt auch dann, wenn der Ermittlungsrichter seine Entscheidungskompetenz unrichtig ausübt.
Praxishinweis
Der BGH hat sich mit dieser Entscheidung der in der Literatur verbreiteten Auffassung angeschlossen, dass die Ermittlungsbehörden auch bei einem "unwilligen" Ermittlungsrichter von ihrer Eilkompetenz Gebrauch machen und Durchsuchungen wegen Gefahr im Verzug ohne richterlichen Beschluss durchführen dürfen. Bereits vor einiger Zeit hat er klargestellt, dass der Richter Durchsuchungsanordnungen auch mündlich erlassen kann, ein schriftlicher Beschluss also nicht notwendig ist. Die Entscheidung gilt für Verfahren, in denen die Finanzbehörde in eigener Zuständigkeit Steuerdelikte verfolgt, entsprechend. Auch Steufa oder BuStra können also bei derart gelagerten Sachverhalten Durchsuchungen auf der Basis der strafprozessualen Eilkompetenz ohne Einschaltung des Richters anordnen.
Link zur Entscheidung
BGH-Beschluss vom 11.8.2005, 5 StR 200/05