Das Wichtigste in Kürze:

1. Mit dem Beugemittel der Erzwingungshaft soll der mutmaßlich zahlungsfähige, jedoch zahlungsunwillige Betroffene zur Zahlung der Geldbuße veranlasst werden.
2. Die Erzwingungshaft tritt nicht an die Stelle der Geldbuße, weshalb mit ihrem Vollzug keine Befreiung von der Zahlungspflicht eintritt. Eine Nachprüfung des Schuldspruchs findet nicht mehr statt.
3. Die nach Tagen zu bemessende Höchstfrist beträgt wegen einer Geldbuße 6 Wochen.
4. Das Übermaßverbot ist sowohl bei der Ermessensentscheidung zu beachten, ob Erzwingungshaft angewandt werden soll, als auch bei ihrer Bemessung.
5. Die Anordnung ist auch bei Geldbußen im Bagatellbereich zulässig.
6. Bei der Feststellung der Zahlungsfähigkeit sind die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Betroffenen sowie seine Arbeitsfähigkeit umfassend zu berücksichtigen.
7. Den Betroffenen trifft die Obliegenheit, eine behauptete Zahlungsunfähigkeit substantiiert i.S.e. aktiven Mitwirkungshandlung darzulegen, sofern sie nicht aus sonstigen Umständen bekannt ist.
8. Die Haftanordnung ist insbesondere aufzuheben, wenn der Betroffene die Geldbuße bezahlt oder nachträglich Zahlungserleichterungen bewilligt werden.
9. Gegen den Anordnungsbeschluss ist binnen 1 Woche ab Zustellung allein die sofortige Beschwerde möglich.
10. Die Vollstreckung der Haft erfolgt durch die StA, bei Jugendlichen und Heranwachsenden durch den Jugendrichter als Vollstreckungsleiter.
11. Bei Jugendlichen und Heranwachsenden kann und sollte von der Möglichkeit Gebrauch gemacht werden, die Geldbuße z.B. durch Arbeitsleistungen oder die Teilnahme an einem Verkehrsunterricht zu ersetzen.
 

Rdn 1151

 

Literaturhinweise:

App, Anordnung der bußgeldrechtlichen Erzwingungshaft nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners? ZVI 2008, 197

ders., Aufhebung der Erzwingungshaft bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Anmerkung zu AG Steinfurt, Beschl. v. 13.8.2003 – 17 OWi 198/03), KKZ 2004, 14

ders., Zum Begriff der Zahlungsunfähigkeit in § 96 Abs. 1 Nr. 4 OWiG (Anmerkung zu LG Potsdam, Beschl. v. 14.9.2006 – 21 Qs 108/06), EWiR 2007, 409

Eisenberg, Erzwingungshaft wegen Geldbußen nach Parkverstößen (Anmerkung zu LG Arnsberg, Beschl. v. 2.2.2006 – 2 Qs 19/06), NZV 2007, 102

Fürmann, Das unterschätzte Beugemittel "Erzwingungshaft"!? DRiZ 2009, 365

Krumm, Zahlst du nicht, gehst du in Haft! – Zur Erzwingungshaft, NJ 2023, 210

Laroche, Vollstreckung von Geldbußen wegen Ordnungswidrigkeiten in der Insolvenz, VIA 2014, 17

Meinken, Ist die Erzwingungshaft verfassungswidrig?, DAR 1976, 180

Pauka, Anmerkung zu LG Potsdam, Beschl. v. 12.1.2016 – 24 Qs 52/15, NZI 2016, 653

Petershagen, Erzwingungshaft und Ersatzfreiheitsstrafe trotz Zwangsvollstreckungsverbot im Insolvenzverfahren?, ZInsO 2007, 703

Pfordte, Insolvenzrecht und Strafverfahren, StV 2010, 591

Sandherr, Unzulässigkeit einer "Erzwingungshaft auf Bewährung" (Anmerkung zu LG Berlin, Beschl. v. 29.10.2009 – 533 Qs 73/09), NZV 2010, 312

ders., Praktische Probleme der Erzwingungshaft, zfs 2007, 664

ders., Erzwingungshaft – Zahlungsfähigkeit von Amts wegen aufzuklären, NZV 2022, 584 (Anmerkung zu VerfGH Berlin, Beschl. v. 13.6.2022 – 139/21)

Schuster, Erzwingungshaft bei Zahlungsunfähigkeit bzw. Insolvenz des Bußgeldschuldners, NZV 2009, 528

Stollenwerk, Vom "Knöllchen" zur Haft – Das Mittel der Erzwingungshaft (§ 96 OWiG) bei der Vollstreckung von Verkehrsverstößen, NZV 2010, 125

Wedel/Kutzer, Rechtsmittel bei Erzwingungshaft, MDR 1990, 786

Wieser, Erzwingungshaft wegen Geldbußen während Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren, DZWIR 2007, 72.

 

Rdn 1152

1.a) Mit der Rechtskraft der Bußgeldentscheidung wird die in ihr festgesetzte Geldbuße fällig und damit vollstreckbar (§ 89). Als praktisch unverzichtbares und effektives Beugemittel dient die dem Gericht vorbehaltene (Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG) und mit dem Grundgesetz zu vereinbarende (BVerfGE 43, 101, 105 = NJW 1977, 293; näher Rdn 1154) Anordnung von Erzwingungshaft nach § 96 ausschließlich dazu, den mutmaßlich zahlungsfähigen, jedoch aus nicht erkennbaren Gründen zahlungsunwilligen Betroffenen zur Zahlung der Geldbuße zu bewegen. Sie darf deshalb nicht mit einem strafähnlichen Ersatzübel zur Verbüßung der verwirkten Geldbuße in dem Sinne verwechselt werden, dass die Erzwingungshaft, wie im Fall des § 43 StGB für die Geldstrafe, an die Stelle der uneinbringlichen Geldbuße tritt, weshalb mit ihrem Vollzug auch keine Befreiung von der Zahlungspflicht im Wege der Anrechnung eintritt (LG Potsdam Rpfleger 2016, 310 = JurBüro 2016, 207; Göhler/Seitz/Bauer, § 96 Rn 1; KK/Mitsch, § 96 Rn 1 f.; BeckOK OWiG/Nestler § 96 Rn 2; HK/Gassner/Nenn, § 96 Rn 2; Laroche VIA 2014, 17; Stollenwerk NZV 2010, 125; Pfordte StV 2010, 591, 596). Auch eine Eintragung der Anordnung in Bundeszentral-, Erziehungs-, Fahreignungs- oder Gewerbezentralregister erfolgt nicht (KK/Mitsch, § 96 Rn 40; BeckOK OWiG/Nestler, § 96 Rn 43; Krenberger/Krumm, § 96 Rn 22).

 

Rdn 1153

b) Die nach Tagen zu bemessende Höchstfrist...

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