Das Wichtigste in Kürze:

1. Als Rechtsbehelf eigener Art begründet der zulässige Einspruch bei Nichtabhilfe im Zwischenverfahren den vollständigen Übergang des weiteren Verfahrens auf das Gericht, das über die vorgeworfene Tat und damit in der Sache selbst entscheidet.
2. Das Verbot der reformatio in peius gilt nicht.
3. Einspruchsberechtigt sind der formell Betroffene, d.h. derjenige, gegen den sich der Bußgeldbescheid nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 richtet sowie die ihm gleichgestellten Nebenbeteiligten.
4. Die entsprechende Anwendung der §§ 297300, 302 StPO ermöglicht u.a. eine großzügige Vertretungsbefugnis auch außerhalb anwaltlicher Mandatierung.
5. Korrekter Adressat des Einspruchs ist die den Bußgeldbescheid erlassende Verwaltungsbehörde.
6. Eine Einspruchsbegründung ist nicht notwendig; allerdings müssen Anfechtungswille und das Verlangen nach Überprüfung des Bußgeldbescheids eindeutig sein.
7. Der Einspruch ist bedingungsfeindlich.
 

Rdn 910

 

Literaturhinweise:

Bacher, Eingang von E-Mail-Sendungen bei Gericht, MDR 2002, 669

Bauer, Kann der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid auf materiellrechtlich selbstständige Taten beschränkt werden?, wistra 1993, 329

Bohnert, Teileinspruch im Ordnungswidrigkeitenverfahren, NZV 1988, 201

ders., Neue Regelungen im Zwischenverfahren des OWiG, NZV 1999, 322

Burhoff, Was Sie vom Einspruch gegen den Bußgeldbescheid nach den §§ 67 ff. OWiG wissen müssen, VA 2010, 32

Doller, Störanfälligkeiten im amtsgerichtlichen Bußgeldverfahren, DRiZ 1981, 201

Ebnet, Rechtsprobleme bei der Verwendung von Telefax, NJW 1992, 2985

Ender, Gesetzliche Fristen bei Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr, DAR 1997, 121

Fromm, Zahlung der Geldbuße im Ordnungswidrigkeitenverfahren als Einspruchsverzicht/-rücknahme? VRR 2010, 132

Göhler, Zur Beschränkung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid, wistra 1994, 54

Hartmann, Wahren E-Mails an das BVerfG und an die Fachgerichte die Form? NJW 2006, 1390

Krenberger, Der Einspruch im Bußgeldverfahren, zfs 2022, 664

Krumm, Bußgeldbescheid falsch zugestellt – was ist zu tun?, SVR 2023, 250

Mevert, Plädoyer für die Einführung einer Einspruchsbegründungspflicht im Ordnungswidrigkeitenverfahren, ZRP 1999, 262

Niehaus, Rechtsmittelbeschränkung im Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren, NZV 2003, 409

Schwachheim, Abschied vom Telefax im gerichtlichen Verfahren?, NJW 1999, 621

Staub, Das beA – Eine Rechtsprechungssammlung für das Straf- und OWi-Recht nach etwas mehr als einem Jahr Praxis, NZV 2023, 337

Thiele, Die Vollmacht im gerichtlichen Bußgeldverfahren, DAR 1981, 11

s. auch die Hinw. bei → Anhörungsrüge, Rdn 324

→ Rechtsbeschwerde, Allgemeines, Rdn 2932

→ Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Rdn 4245.

 

Rdn 911

1. Als Rechtsbehelf eigener Art (Göhler/Seitz/Bauer, Vor § 67 Rn 1; BeckOK OWiG/Gertler, § 67 Rn 1) unterscheidet sich der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid (→ Bußgeldbescheid, Allgemeines, Rdn 630 m.w.N.) in seiner funktionellen Bedeutung grundlegend von den strafprozessualen Rechtsmitteln und auch vom Einspruch gegen den Strafbefehl, dem er jedoch im Vergleich zu den sonstigen strafprozessualen Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln am nächsten kommt (vgl. OLG Frankfurt a.M. NJW 2023, 1528). Denn mit seiner form- und fristgerechten Einlegung nach § 67 durch den Betroffenen (→ Einspruch, Form, Rdn 941; → Einspruch, Frist, Rdn 955) und Nichtabhilfe durch die Verwaltungsbehörde (→ Zwischenverfahren, Rdn 4331) wird nicht nur die erneute, umfassende oder auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkte richterliche Überprüfung der Sache in der Tat- und Rechtsfrage oder auch nur in der Rechtsfrage (→ Einspruch, Beschränkung, Rdn 921) bewirkt. Darüber hinaus wird der "Übergang der Sache aus dem Bereich der Verwaltung an den Richter" und damit der "Eintritt einer Prozesslage" herbeigeführt, "die das bisherige Verfahren als bloßes Vorverfahren erscheinen lässt" (BGHSt 29, 173, 175). Im Unterschied zum Verwaltungsprozess überprüft das Gericht also nicht nur die Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung, sondern entscheidet über die vorgeworfene Tat und damit in der Sache selbst (KK/Ellbogen, § 67 Rn 1, 4). Mangels Devolutiveffekts ist der lediglich die Vollstreckung hindernde (sog. Suspensiveffekt; vgl. §§ 89, 66 Abs. 2 Nr. 1a) Einspruch kein Rechtsmittel. Nimmt der Einspruch die Zulässigkeitshürden nicht, ist er von der Verwaltungsbehörde nach § 69 Abs. 1 S. 1 als unzulässig zu verwerfen (→ Einspruch, Unzulässigkeit, Verwerfung, Rdn 989), womit der Weg einer gerichtlichen Kontrolle allerdings noch nicht endgültig versperrt sein muss (→ Antrag auf gerichtliche Entscheidung, § 62, Rdn 341). Mit dem wirksamen Einspruch vollzieht sich folgerichtig ein Bedeutungswandel des Bußgeldbescheids und der ihm gleichgestellten Bescheide von einer (vorläufigen) Ahndungsentscheidung hin zu einer den Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens umreißenden (→ Tatbegriff im Bußgeldverfahren, Rdn 3481) und hierin der Aufgabe von Anklage und Eröffnungsbeschluss gleichenden Restfunktion (KK/Ellbogen, § 67 Rn 1) eine...

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