Entscheidungsstichwort (Thema)
Bußgeldbescheid. Einspruch. vorsorglich. Verfahrenshindernis. Verwerfung als unzulässig. Sachurteil. Rechtsbeschwerde. Verschlechterungsverbot. Kostentragungspflicht
Leitsatz (amtlich)
1. Gegen den Bußgeldbescheid kann der Betroffene schon vor seiner Zustellung und auch dann wirksam Einspruch einlegen, wenn er von seinem Erlass oder Inhalt (noch) keine Kenntnis hat, sofern im Einlegungszeitpunkt der Bußgeldbescheid bereits erlassen ist (u. a. Anschluss an BGH, Beschluss vom 16.05.1973 - 2 StR 497/72 = BGHSt 25, 187/189 = DAR 1973, 276 = NJW 1974, 66; BayObLG, Beschluss vom 10.03.1989 - 2 Ob OWi 417/88 = BayObLGSt 1989, 33 = NZV 1989, 364 = VRS 77 [1989], 136 = ZfS 1990, 288).
2. Gegen einen noch nicht erlassenen Bußgeldbescheid kann - von wenigen Sonderfällen abgesehen - in statthafter Weise auch nicht vorsorglich' Einspruch eingelegt werden (u. a. Anschluss an OLG Koblenz, Beschluss vom 11.12.1985 - 14 W 727/85 = NJW-RR 1986, 935 = AnwBl. 1986, 401 = JurBüro 1986, 1899).
3. Hat das Amtsgericht übersehen, dass ein Einspruch gegen den Bußgeldbescheid nicht bzw. verfrüht', verspätet oder sonst nicht zulässig eingelegt wurde und gegen den Betroffenen ein Sachurteil erlassen, so hat das Rechtsbeschwerdegericht auf die zulässige Rechtsbeschwerde hin das Verfahrenshindernis der Rechtskraft des Bußgeldbescheids von Amts wegen zu berücksichtigen und neben der Aufhebung des Urteils gemäß § 79 Abs. 6 Satz 1 OWiG die Verwerfung des Einspruchs -gegebenenfalls unter Beachtung des Verschlechterungsverbots - nachzuholen. Eine Einstellung des (weiteren) gerichtlichen Verfahrens kommt nicht in Betracht (u. a. Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 19.11.1959 - 2 StR 357/59 = BGHSt 13, 306 = NJW 1960, 109 und vom 14.08.1975 - 4 StR 253/75 = BGHSt 26, 183/184 = NJW 1960, 109; BayObLG, Urteil vom 16.08.1961 - 1 St 282/61 = NJW 1962, 118; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.11.1984 - 5 Ss 349/84 = JR 1986, 121; OLG Stuttgart, Beschluss vom 05.05.1994 - 1 Ss 113/94 = Justiz 1994, 453).
4. Auch in diesem Fall hat der Betroffene gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO die Kosten des unzulässigen weiteren Verfahrens und der Rechtsbeschwerde zu tragen (u. a. Anschluss an BGH, Beschluss vom 19.11.1959 -2 StR 357/59 = BGHSt 13, 306/308 ff. = NJW 1960, 109; ; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.11.1984 - 5 Ss 349/84 = JR 1986, 121).
Normenkette
OWiG § 46 Abs. 1, § 69 Abs. 1 S. 1, § 70 Abs. 1, § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 1, Abs. 6; StPO § 260 Abs. 3, § 358 Abs. 2, § 473 Abs. 1 S. 1
Tenor
I.
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts vom 30. Juni 2016 aufgehoben.
II.
Der Einspruch der Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt vom 23.11.2015 wird als unzulässig verworfen.
III.
Die Betroffene hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I. Das Amtsgericht hat die Betroffene am 30.06.2016 wegen einer am 31.10.2015 als Führerin eines Pkw auf einer Bundesautobahn außerorts begangenen fahrlässigen Überschreitung der an der Messstelle durch Verkehrszeichen angeordneten zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 42 km/h (§ 24 Abs. 1 StVG i. V. m. §§ 41 Abs. 2, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO) entsprechend der schon im Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt vom 23.11.2015 vorgesehenen Rechtsfolgen zu einer Geldbuße von 160 Euro verurteilt und gegen sie ein einmonatiges Fahrverbot nach Maßgabe des § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG angeordnet. Mit ihrer gegen das Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt die Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
II. Die statthafte (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG) und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Nachholung der durch das Amtsgericht spätestens in der Hauptverhandlung noch möglichen und dort gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 260 Abs. 3 StPO im Urteilswege gebotenen Verwerfung des Einspruchs der Betroffenen als unzulässig durch den Senat. Einer Sachentscheidung des Amtsgerichts stand das Verfahrenshindernis der Rechtskraft des Bußgeldbescheids entgegen; das Amtsgericht hat übersehen, dass gegen den Bußgeldbescheid vom 23.11.2015 ein wirksamer Einspruch nicht eingelegt worden ist.
1. Dem angefochtenen Urteils ging folgender Verfahrensgang voraus:
Der am 23.11.2015 erlassene Bußgeldbescheid wurde der Betroffenen am 25.11.2015 wirksam zugestellt. Bereits mit unter dem 18.11.2015 verfasstem und noch an diesem Tag per Telefax an das Bayerische Polizeiverwaltungsamt unter Angabe des dortigen Zeichens per Telefax übermitteltem Schreiben zeigte der Verteidiger der Betroffenen unter der Überschrift "Anhörungsverfahren" in der Betreffzeile an, von der Betroffenen "mit ihrer Verteidigung beauftragt" worden zu sein und versicherte "ordnungsgemäße Bevollmächtigung". Ferner beantragte er "bereits jetzt, das Verfahren gem. § 47 Abs. 1 OWiG einzustellen" und legte, "falls bereits ...