Keine Abwägung gegen Mieterinteressen
Die berechtigten Interessen des Vermieters sind bei der Entscheidung darüber, ob Eigenbedarf anzunehmen ist, nicht gegen die Belange des Mieters abzuwägen.
§ 573 BGB stellt ausdrücklich allein auf das Interesse des Vermieters ab. Die besonderen Belange des Mieters im Einzelfall sind nur auf dessen Widerspruch hin (§ 574 BGB) zu beachten.
Wären die im Einzelfall vorliegenden besonderen Belange des Mieters bereits bei der Prüfung zu beachten, ob ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Kündigung anzunehmen ist, liefe dies darauf hinaus, dass der Vermieter zur Schlüssigkeit einer Räumungsklage die besondere Interessenlage des Mieters schildern muss, die ihm häufig nicht bekannt ist. Darüber hinaus wäre es nicht im Sinne des sozialen Mietrechts, den Vermieter zu Ermittlungen über die sozialen Verhältnisse des Mieters zu veranlassen.
Aufgrund zahlreicher Verfassungsbeschwerden gegen mietgerichtliche Entscheidungen hatte sich das BVerfG mit den unterschiedlichen Interessen der Mietparteien gerade im Fall einer Kündigung zu befassen und eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung grundrechtlicher Aspekte vorzunehmen. Dabei hat es entschieden, dass das Besitzrecht, welches der Mieter aufgrund seines Mietvertrags an der Wohnung hat, ein vermögenswertes Recht entsprechend dem Eigentum des Vermieters (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) ist. Gesetzgebung und Rechtsprechung sind deshalb verpflichtet, die beiden miteinander konkurrierenden Eigentumspositionen in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen.
Der Gesetzgeber hat die notwendige Interessenabwägung zwischen § 573 BGB (Kündigung nur bei Vorliegen eines berechtigten Interesses) und § 574 BGB (sog. Sozialklausel) vorgenommen. Dazu hat das BVerfG bereits in einem früheren Urteil betont, dass das Kündigungsrecht des Vermieters ohne Verfassungsverstoß von einem berechtigten Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses abhängig gemacht werden darf. Jedoch haben die Gerichte unverhältnismäßige Eigentumsbeschränkungen zu vermeiden. Daher ist auch eine Nachprüfung des Entschlusses des Vermieters, seine Wohnung selbst zu nutzen, nicht unbeschränkt zulässig.
Berücksichtigung der Eigentümerrechte durch die Gerichte
Die Fachgerichte haben die Befugnis des Eigentümers, sein Leben und den Gebrauch seines Eigentums so einzurichten, wie er dies für richtig hält, zu achten und müssen seinen Entschluss, die vermietete Wohnung nunmehr selbst zu nutzen oder durch den – eng gezogenen – Kreis privilegierter Dritter nutzen zu lassen, grundsätzlich akzeptieren und ihrer Rechtsfindung zugrunde legen.
Andererseits ist es im Hinblick auf das ebenfalls grundgesetzlich geschützte Besitzrecht des Mieters zulässig, den Erlangungswunsch des Vermieters nur dann zu berücksichtigen, wenn dieser ernsthaft, vernünftig und nachvollziehbar ist.
Gerichtliche Prüfung der Mietereinwände
Dabei kann der Mieter beanspruchen, dass das Gericht seinen Einwänden nachgeht und insbesondere prüft, ob
- der Selbstnutzungswunsch ernsthaft verfolgt wird,
- eine Alternativwohnung vorhanden ist,
- der geltend gemachte Wohnbedarf weit überhöht ist.
Gesundheitsgefahr für den Mieter
Der BGH hat seine Rechtsprechung aber dahingehend präzisiert, dass ein Sachverständigengutachten regelmäßig von Amts wegen eingeholt werden muss, wenn der Mieter eine zu besorgende Verschlechterung seines Gesundheitszustands durch ärztliches Attest belegt hat. Auf diese Weise ist zu klären,
- an welchen Erkrankungen der betroffene Mieter konkret leidet und
- wie sich diese auf seine Lebensweise und Autonomie sowie
- auf seine psychische und physische Verfassung auswirken.
Dabei ist auch von Bedeutung, ob und inwieweit sich die mit einem Umzug einhergehenden Folgen mittels Unterstützung durch das Umfeld bzw. durch begleitende ärztliche und/oder therapeutische Behandlungen mindern lassen. Nur eine solche Aufklärung versetzt die Gerichte in die Lage, eine angemessene Abwägung bei der Härtefallprüfung des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB vorzunehmen.