Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Leitsatz
Normenkette
§ 14 Nr. 1 WEG, § 21 Abs. 4 WEG, § 22 Abs. 1 WEG, § 23 Abs. 1 WEG, § 133 BGB
Kommentar
1. Ein Eigentümer hatte Ende 1984 an der offenen Vorderseite seiner Loggia eine faltbare Glasfensterkonstruktion anbringen lassen und zwar eigenmächtig ohne Zustimmung des Verwalters oder der übrigen Wohnungseigentümer. Im folgenden Frühjahr fasste die Gemeinschaft Beschluss: "Der Verwalter wird ermächtigt, gegen den Antragsgegner Klage auf Beseitigung der ohne Zustimmung des Verwalters eingebauten Glasfensterkonstruktion zu erheben und ggf. die Zwangsvollstreckung zu betreiben."
Das Landgericht entnahm dieser mangels Anfechtung bindend gewordenen Beschlussfassung eine Beseitigungspflicht, da durch den Beschluss klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht sei, dass die Gemeinschaft die bauliche Veränderung nicht billige und ihre Beseitigung begehre. Nur in dieser Weise könne die Ermächtigung des Verwalters, Klage auf Beseitigung zu erheben, verstanden werden.
Das Rechtsbeschwerdegericht hat sich dieser Auslegung des Beschlusses nicht angeschlossen. Der Beseitigungsanspruch könne unmittelbar nicht aus dem Eigentümerbeschluss hergeleitet werden.
2. Die Auslegung von Eigentümerbeschlüssen sei zwar grundsätzlich Sache des Tatrichters, sodass das Rechtsbeschwerdegericht diese Auslegung nicht auf ihre sachliche Richtigkeit, sondern nur auf Rechtsfehler überprüfen könne. Ein solcher Rechtsfehler liege vor, wenn der Tatrichter gegen den klaren Sinn des Beschlusswortlautes, gegen gesetzliche Auslegungsregeln, allgemein anerkannte Erfahrungssätze oder gegen Denkgesetze verstoßen und nicht alle für die Auslegung in Betracht kommenden Gesichtspunkte gewürdigt hat. Anzuknüpfen sei bei der Auslegung stets an die äußere Gestalt des Beschlusses. Auf subjektive Vorstellungen der Abstimmenden könne es nicht entscheidend ankommen.
Im vorliegenden Fall sei der Beschluss nur so auszulegen, dass die Wohnungseigentümer beschlossen haben, ein ihnen vermeintlich zustehendes Recht gerichtlich geltend zu machen (über entsprechende Verwalterermächtigung). Ob ein solches Recht (Beseitigungsanspruch) wirklich bestehe, müsse dann im gerichtlichen Verfahren nach Maßgabe der materiellen Rechtslage entschieden werden. Allein in diesem Sinne ist der hier streitgegenständliche Beschluss zu verstehen, also nicht in dem Sinne, dass bereits verbindlich eine Beseitigungspflicht beschlossen wurde.
Soll also für einen Betroffenen bereits durch Eigentümerbeschluss konstitutiv eine Pflicht auferlegt werden, so muss dies für den Adressaten im Beschlusstext klar erkennbar sein. Nur dann ist es gerechtfertigt, ihn ohne Rücksicht auf die zuvor bestehende materielle Rechtslage an dem Eigentümerbeschluss festzuhalten, wenn er die Anfechtungsfrist verstreichen lässt.
Da im vorliegenden Fall der Beschlusstext in richtiger Auslegung nur den gesetzlichen Beseitigungsanspruch erfasste, musste die Sache zur weiteren Aufklärung an die Vorinstanz zurückverwiesen werden.
3. Ohne Frage ist die angebrachte Glasfensterkonstruktion eine bauliche Veränderung im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 WEG, die grundsätzlich der Zustimmung aller Wohnungseigentümer bedürfe. Entbehrlich ist nur die Zustimmung der Eigentümer, denen durch eine bauliche Maßnahme kein über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgehender Nachteil erwächst.
Unter einem Nachteil im Sinne des § 14 Nr. 1 WEG ist dabei jede nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung zu verstehen. Ein solcher Nachteil kann sich auch aus einer architektonischen Veränderung des äußeren Gesamteindrucks der Wohnanlage ergeben. In der bloßen Veränderung des optischen Bildes des Gebäudes liegt jedoch kein Nachteil. Eine Beeinträchtigung des ästhetischen Gesamteindrucks (Störung der Harmonie) ist aber als solcher Nachteil anzusehen; es wird dabei auf den Gesamteindruck der Wohnanlage sowie darauf ankommen, wie sich die geschlossene Glasfensterkonstruktion der Antragsgegner darauf auswirkt.
4. Bauliche Veränderungen beseitigt zu verlangen, ist grundsätzlich nicht schon deshalb rechtsmissbräuchlich, weil am selben Gebäude bereits durch andere Eigentümer bauliche Veränderungen vorgenommen wurden, denen (bisher) niemand entgegengetreten ist. Im Übrigen wären solche anderweitigen Änderungen nicht mit der hier gegenständlichen Maßnahme vergleichbar.
5. Das Landgericht wurde aufgefordert, insoweit eigenen Augenschein zu nehmen, um die Frage eines etwaigen Nachteils zu klären.
Link zur Entscheidung
( BayObLG, Beschluss vom 02.07.1987, BReg 2 Z 136/86)
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