Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Normenkette
§ 14 Nr. 1 WEG, § 22 Abs. 1 WEG, Art. 5 Abs. 1 GG, § 1004 Abs. 1 BGB
Kommentar
1. Das Interesse eines im Ausland (hier: Türkei) geborenen, in Deutschland lebenden Wohnungseigentümers (der die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen hat), eine Parabolantenne anzubringen, um die Hörfunk- und Fernsehprogramme seines früheren Heimatlandes empfangen und um sich über das kulturelle Leben weiter informieren und die sprachliche Verbindung aufrechterhalten zu können, ist bei der Abwägung mit den Interessen der übrigen Wohnungseigentümer geringer zu gewichten als das Interesse eines auf Dauer in Deutschland lebenden ausländischen Wohnungseigentümers, der seine ausländische Staatsangehörigkeit beibehält.
2. Im vorliegenden Einzelfall hielt sich der 1922 in derTürkei geborene Antragsgegner seit 1953 in Deutschland auf; er ließ sich 1982 einbürgern und hat nach Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit zusammen auch mit seiner in der Türkei geborenen Ehefrau inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen. Auch der 1978 geborene Sohn soll noch eingebürgert werden. Der gut deutsch sprechende Antragsgegner hat am Eisengeländer seines Balkons eine deutlich wahrnehmbare Parabolantenne befestigt, die über die Balkonbegrenzung hinausragt. Die Wohnanlage selbst ist an das Breitbandkabel angeschlossen, was dem Antragsgegner den Empfang eines türkischen Senders ermöglicht. Alle drei Münchener Instanzen verurteilten den Antragsgegner auf Verpflichtung zur Beseitigung der installierten Parabolantenne.
3. Vorliegend handelt es sich um eine nachteilige bauliche Veränderung mit nicht ganz unerheblicher Beeinträchtigung des optisch-ästhetischen Gesamteindrucks der Wohnanlage (wie vom Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt). Hinsichtlich der Nachteilswirkungen ist auf die gesamten Umstände des Einzelfalls abzustellen (wie bereits am 12.08.1991 entschieden, BayObLGZ 91, 296).
In eine Interessenabwägung ist zum einen das Grundrecht auf Informationsfreiheit einzubeziehen, andererseits aber ebenso das grundrechtlich geschützte Eigentumsrecht (vgl. ebenso OLG Hamm, NJW 93, 1276 und OLG Frankfurt, NJW 93, 2817). Bei einem Ausländer hat die obergerichtliche Rechtsprechung weiterhin wohnungseigentumsrechtlich im Rahmen der erforderlichen Abwägung an besonderes Interesse des betroffenen Wohnungseigentümers an Informationen aus seinem Heimatland angenommen (vgl. OLG Düsseldorf, NJW 1993, 1274; WM 1994, 162 und OLG Celle, Entscheidung v. 19.05.1994, 4 W 350/93= NJW-RR 1994, 977).
Weiterhin wird in der Senatsentscheidung dann auf die mietrechtliche Rechtsprechung abgestellt, ebenso auf die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.1994 (NJW 94, 1147) und die neuen verfassungsgerichtlichen Entscheidungen vom 09.06.1994 (NJW 94, 2143) und vom 15.06.1994 (WM 94, 365) und die dort erwähnten Kriterien Eigentümerschutz einerseits und Informationsfreiheit andererseits. Es ist stets eine fallbezogene Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Keines der beiden erwähnten Grundrechte geht generell dem jeweils anderen vor; vielmehr ist zu entscheiden, ob die Beeinträchtigung des einen oder des anderen Grundrechts schwerer wiegt. Sofern der Wunsch nach Anbringung einer Parabolantenne von einem dauerhaft in Deutschland lebenden Ausländer ausgeht, ist bei der Interessenabwägung als ein Faktor das besondere Interesse des Ausländers zu berücksichtigen, sich mittels der Programme seines Heimatlandes über das dortige Geschehen zu unterrichten und die kulturelle und sprachliche Verbindung aufrechtzuerhalten; diese Möglichkeit eröffnet i. d. R. nur eine Satellitenempfangsanlage. Die mietrechtlich aufgestellten Kriterien sind auch im Wohnungseigentumsrecht anzuwenden (ebenso OLG Celle, Entscheidung v. 19.05.1994, 4 W 350/93= NJW-RR 94, 977/978). Die verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zu Mietshäusern mögen zwar den Eindruck erwecken, dass die auf das Grundrecht der Informationsfreiheit gestützten Interessen von vornherein schwerer zu gewichten sind; dort wird jedoch über eine umfassende Abwägung hinaus die Angabe verlangt, welche "Eigenschaften des Mietobjektes" es rechtfertigten, die Anbringung einer Parabolantenne zu versagen. Daran knüpft auch die deutliche Kritik des OLG Celle an der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung an, "dass zwar sämtliche überhaupt denkbaren Gesichtspunkte und Interessen in die Erwägung einbezogen worden sind, jedoch mit Ausnahme der Frage, ob das berechtigte Bemühen um Einzelfallgerechtigkeit noch zu Ergebnissen führt, die auch nur einigermaßen praktikabel sowie dem Vermieter und der Wohnungseigentümergemeinschaft unter dem Gesichtspunkt des Zeitaufwands und des Kostenrisikos zumutbar sind".
4. Sicher hat bei dem vorliegend geäußerten Interesse des Antragsgegners an türkischer Musik der Gesichtspunkt außer Betracht zu bleiben, dass sich der Antragsgegner insoweit anderer Informationsquellen bedienen könne; dies würde eine unzulässige Einschränkung der Informationsfreiheit bedeute...