Leitsatz

Das OLG Oldenburg hat sich in dieser Entscheidung mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine Ausnahme von der grundsätzlichen Unanfechtbarkeit einstweiliger Anordnungen in Familiensachen in entsprechender Anwendung des § 57 S. 2 Nr. 2 FamFG auch dann zulässig ist, wenn die Herausgabe des Kindes von einem Elternteil an das als Ergänzungspfleger bestellte Jugendamt angeordnet worden ist.

 

Sachverhalt

Die Kindesmutter (Beteiligte zu 1.) wandte sich gegen eine - inzwischen vollzogene - Herausgabeanordnung betreffend ihre im Jahre 1995 geborene Tochter. Durch Beschluss des FamG vom 30.6.2009 war das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Regelung von Schulangelegenheiten, das Recht der Gesundheitsvorsorge sowie das Recht zur Stellung von Anträgen nach §§ 27 ff. SGB VIII der Kindesmutter entzogen und dem Kreisjugendamt übertragen worden.

Auf Antrag des Kreisjugendamtes hat das FamG mit Beschluss vom 17.8.2010 im Wege einstweiliger Anordnung ohne mündliche Verhandlung die Herausgabe des Kindes an das Kreisjugendamt angeordnet. Vorausgegangen war die Abmeldung des Kindes von der Schule durch die Mutter. Zur Begründung der Herausgabeanordnung hatte das AG ausgeführt, das Kind werde dem Kreisjugendamt von der Kindesmutter absprachewidrig vorenthalten. Der Beschluss wurde am 27.8.2010 vollstreckt. Direkt im Anschluss an die Vollstreckung fand ein Anhörungstermin statt, bei dem die Kindesmutter ihre Auffassung bekräftigte, es bestehe für ihre Tochter keine Schulpflicht mehr. Die Tochter selbst erklärte, sie wolle ihre Schule nicht mehr besuchen, weil sie sich dort ungerecht behandelt und bedroht fühle.

Das AG hat mit dem im Anhörungstermin verkündeten Beschluss die Herausgabeanordnung aufrechterhalten.

Hiergegen richtete sich die Beschwerde der Kindesmutter.

Das Rechtsmittel blieb ohne Erfolg.

 

Entscheidung

Das OLG hielt die Beschwerde für zulässig, wies jedoch darauf hin, dass Entscheidungen im Verfahren der einstweiligen Anordnung gemäß § 57 S. 1 FamFG grundsätzlich unanfechtbar seien.

Von der grundsätzlichen Unanfechtbarkeit seien in § 57 S. 2 Nr. 2 bis 5 FamFG Ausnahmen geregelt. Vorliegend komme der Ausnahmetatbestand des § 57 S. 2 Nr. 2 FamFG in Betracht, wonach die Unanfechtbarkeit einstweiliger Anordnungen nicht gelte, wenn das Gericht des ersten Rechtszuges aufgrund mündlicher Erörterung über die Herausgabe des Kindes an den anderen Elternteil entschieden habe.

Zwar sei der hier gegebene Fall der Herausgabe des Kindes an das Jugendamt vom Gesetzeswortlaut nicht erfasst. Die Vorschrift müsse jedoch über den Gesetzeswortlaut hinaus entsprechend gelten, wenn die Herausgabe eines Kindes von einem Elternteil an das als Ergänzungspfleger bestellte Jugendamt angeordnet worden sei. Das besondere Gewicht, das der Gesetzgeber der Entscheidung über die Kindesherausgabe für die Eltern beigemessen und deshalb eine Ausnahme von der grundsätzlichen Unanfechtbarkeit einstweiliger Anordnungen geregelt habe, sei auch in einem solchen Fall gegeben.

Deshalb sei § 57 S. 2 Nr. 2 FamFG nach dem Zweck der Vorschrift entsprechend anzuwenden, wenn die Herausgabe des Kindes von einem Elternteil an das als Ergänzungspfleger bestellte Jugendamt angeordnet werde.

Die Beschwerdeberechtigung sei auch nicht durch den Vollzug der Herausgabeanordnung entfallen, weil diese weiter wirke. Die Kindesmutter habe keinen konkreten Antrag gestellt, ihr Beschwerdebegehren sei als Antrag auf Rückführung der Tochter auszulegen.

In der Sache selbst müsse dem Rechtsmittel der Erfolg jedoch versagt bleiben.

 

Link zur Entscheidung

OLG Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 09.11.2010, 13 UF 90/10

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