Leitsatz
Wer bereits bei Buchung einer Reise krank ist, muss nicht grundsätzlich mit einer Verschlechterung seines Leidens rechnen. Tritt eine solche Verschlechterung ein, entfällt der Anspruch aus der Reiserücktrittsversicherung grundsätzlich nicht. Etwas anderes gilt nur, wenn bereits bei Reisebuchung konkrete Anhaltspunkte für eine Verschlechterung des Krankheitszustands bestehen.
Sachverhalt
Der Kläger unterhielt über seine Kreditkarte eine Reiserücktrittsversicherung. Nach den Versicherungsbedingungen bestand Versicherungsschutz bis zu 10000 EUR für jede mit der Karte bezahlte Reise. Versichert waren der Karteninhaber, sowie bis zu 5 weitere Personen. Die Versicherung bestand für den Fall, dass aufgrund einer "unerwarteten schweren Erkrankung" die Reise nicht angetreten werden konnte.
Im Oktober und November 2007 litt der Kläger bei Gartenarbeiten unter anhaltenden Rückenschmerzen. Diese wurden vom Hausarzt und einem Orthopäden ambulant behandelt. Im Dezember 2007 buchte der Kläger für sich und seine Ehefrau eine Reise nach Argentinien und Chile zum Preis von 5710 EUR pro Person, mithin insgesamt 11420 EUR. Eine Woche nach der Buchung traten erneut starke Rückenschmerzen auf. Der nunmehr vom Kläger herangezogene Neurologe stellte einen Bandscheibenvorfall fest, der sofort zu operieren sei. Die Reise könne auf keinen Fall angetreten werden. Darauf verlangte er von der Versicherung die Erstattung der von ihm gezahlten Stornokosten (abzüglich des vereinbarten Selbstbehalts) i.H.v. 6084,80 EUR nebst entstandener Rechtsanwaltskosten.
Das LG wies die Klage ab mit der Begründung, der Bandscheibenvorfall sei aufgrund der Vorerkrankungen keine "unerwartete Erkrankung" i.S.d. Versicherungsbedingungen. Demgegenüber vertrat das OLG eine völlig andere Auffassung und verurteilte die Versicherung zur Erstattung der gesamten Stornokosten. Zunächst stellte das Gericht klar, dass keine Unterversicherung bestand. Die Formulierung der Versicherungsbedingungen ließen nicht eindeutig erkennen, ob der versicherte Reisepreis von 10000 EUR pro Reiseteilnehmer oder für die gesamte Reise gelte. Unklarheiten seien zulasten der Versicherung auszulegen. Daher sei von einem versicherten Reisepreis von 10000 EUR pro Reiseteilnehmer auszugehen.
Der vom Neurologen diagnostizierte Bandscheibenvorfall sei entgegen der Auffassung des LG auch als unerwartete, schwere Erkrankung zu werten. Das Beschwerdebild des Versicherungsnehmers zum Zeitpunkt der Buchung der Reise sei entscheidend für die zu erwartende Krankheitsentwicklung. Zum Zeitpunkt der Buchung der Reise seien lediglich "normale" Rückenleiden diagnostiziert worden, ohne dass der Kläger habe annehmen können, hieraus würde sich ein Bandscheibenvorfall entwickeln. Die Verschlechterung war zum Zeitpunkt der Reisebuchung nicht vorauszusehen. Nur auf die subjektive Sicht des Versicherten zum Zeitpunkt der Reisebuchung komme es an. Dieses Ergebnis lässt sich nach Auffassung des OLG auch damit untermauern, dass bei Abschluss des Versicherungsvertrages keinerlei Gesundheitsfragen gestellt wurden. Ein chronisch Kranker könne daher nicht davon ausgehen, dass er grundsätzlich nicht versichert sei, weil möglicherweise Verschlechterungen seines Krankheitsbilds eintreten könnten. Auch aus diesem Betrachtungswinkel konnte der Versicherungsschutz nicht versagt werden.
Link zur Entscheidung
OLG Koblenz, Urteil v. 22.01.2010, 10 U 613/09.