Der Begriff "Wohl des Kindes" ist von Gerichten zu allen Zeiten gefüllt worden mit einem Inhalt, der nicht unabhängig von der jeweiligen gesellschaftspolitischen Situation und nicht unabhängig von gesellschaftlichen Auffassungen gesehen werden kann.

Deutliches Zeugnis davon geben Entscheidungen deutscher Gerichte im Laufe der Jahrzehnte auf der Grundlage des bis vor kurzer Zeit nahezu unverändert gebliebenen Wortlautes des § 1666 BGB.

1935 erklärte beispielsweise das Landgericht Torgau:[1]

  • "Eine deutsche Mutter, die durch ihren Verkehr mit einem Juden zu einer Zeit, in der eine aufklärende Propaganda ihr das Verbrecherische ihrer Handlungsweise zum Bewusstsein hat bringen müssen, eine schamlose Gesinnung an den Tag gelegt hat, ist nicht würdig und nicht fähig, deutsche Kinder zu deutschen Menschen zu erziehen."

Man muss aber nicht einmal Beispiele aus der Zeit der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts heranziehen: Während beispielsweise noch 1953 ein Elternverhalten vom BGH als lediglich drastisch qualifiziert wurde, beidem die 16-jährige Tochter in der Wohnung festgehalten, festgebunden und geschlagen wurde, ihre Haare kurz geschoren wurden, um ihre "sittliche Verkommenheit zu bekämpfen"[2], entzog das OLG Karlsruhe 1974 einem Vater, der seine 14-jährige Tochter heftig schlug und sie ohrfeigte, das Personensorgerecht, weil "Schläge in diesem Alter kein geeignetes Erziehungsmittel" seien.[3]

[1] JW 1935, 356.
[2] BGH, NJW 1953, 1440.
[3] OLG Karlsruhe, FamRZ 1974, 538; heute ist allerdings – Gott sei Dank – allgemein anerkannt, dass Schläge überhaupt kein geeignetes Erziehungsmittel sind, vgl. unten Zf. 3.

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