Leitsatz
Zwischen den Kindeseltern, die im Jahre 1995 geheiratet hatten, war das Ehescheidungsverfahren anhängig. Aus der Ehe war am 8.3.1996 ein Kind hervorgegangen, das seit der Trennung der Eltern im März 2004 bei seinem Vater lebte. Im Rahmen des Verbundverfahrens beantragte die Kindesmutter den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Gewährung eines Umgangsrechts mit dem Kind. In einem Termin im September 2006 trafen die Parteien eine Vereinbarung zum Umgangsrecht und regelten, dass sie ihr gemeinsames Aufenthaltsbestimmungsrecht dahingehend ausüben wollten, dass der Aufenthalt des Kindes auch weiterhin in dem Haushalt des Vaters sein sollte. Die Vereinbarung wurde familiengerichtlich genehmigt.
Während eines Besuchs bei der Mutter in den Herbstferien äußerte das Kind, das seine Mutter mehr als zwei Jahre nicht mehr gesehen hatte, nicht mehr in den väterlichen Haushalt zurückkehren zu wollen. Die Mutter setzte sich mit dem Jugendamt in Verbindung und bat dort um Rat. Außerdem teilte sie den Wunsch des Kindes dem Vater mit, der darauf ankündigte, es zum verabredeten Zeitpunkt gleichwohl abholen zu wollen. Die Mutter entschloss sich daraufhin, das Kind zum Vater zurückzubringen, wobei es während der Fahrt zu ihm mehrfach ankündigte, bei nächster Gelegenheit aus dem väterlichen Haushalt weglaufen und zur Mutter zurückkehren zu wollen. Daraufhin bat die Mutter die Polizei um Unterstützung. Vor der Wohnung des Vaters weigerte sich das Kind, das Auto der Mutter zu verlassen. Die Mutter nahm es daraufhin wieder mit zurück an ihren Wohnort, wo das Kind seither lebt und die Schule besucht.
Der Vater begehrte mit seinem Antrag die Herausgabe des Kindes, ggf. unter Gewaltanwendung. Dieser Antrag wurde zurückgewiesen und die Vereinbarung der Eltern zum Aufenthaltsbestimmungsrecht außer Vollzug gesetzt. Hiergegen legte der Kindesvater Beschwerde ein und verfolgte sein erstinstanzliches Begehren weiter.
Sachverhalt
siehe Kurzzusammenfassung
Entscheidung
Die Beschwerde des Vaters führte nicht zum Erfolg. Das OLG vertrat die Auffassung, das AG habe sein Herausgabebegehren zu Recht zurückgewiesen. Die Voraussetzungen des § 1632 Abs. 1 BGB lägen nicht vor.
Nach § 1632 Abs. 1 BGB habe der derjenige, dem - wie vorliegend dem Kindesvater - die Personensorge für sein Kind zustehe, das Recht, die Herausgabe des Kindes zu verlangen. Übten die Kindeseltern die Personensorge gemeinsam aus, so könne dennoch einer von ihnen den erforderlichten Antrag auf Herausgabe allein stellen, wenn der andere Elternteil zur Mitwirkung nicht bereit sei.
Herausgabepflichtig sei nur derjenige andere Elternteil oder ein Dritter, der dem Berechtigten das Kind widerrechtlich vorenthalte, also es ohne rechtfertigenden Grund in seiner unmittelbaren oder mittelbaren Gewalt habe und die Wiedererlangung durch den Berechtigten verhindere (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 65. Aufl., § 1632 Rz. 5 m.w.N.; Oelkers in: Handbuch des Fachanwalts für Familienrecht, 3. Aufl., 4. Kap., Rz 795 m.w.N.).
Im Verhältnis zweier sorgeberechtigter Elternteile zueinander sei insoweit ausschließlich das Kindeswohl oberstes Gebot und alleinige Richtschnur für ein Herausgabeverfahren, das unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln sei. Das AG habe in der angefochtenen Entscheidung zu Recht nicht auf die von den Eltern geschlossene Vereinbarung abgestellt und bei der vielmehr gebotenen Prüfung des Kindeswohls eine zutreffende Abwägung vorgenommen.
Dem Kindeswillen komme in diesem Zusammenhang erhebliche Bedeutung zu. Das Kind habe sich sämtlichen mit der Sache Befassten gegenüber konstant mit für sein Alter erstaunlich klarer Begründung für einen Aufenthalt im mütterlichen Haushalt ausgesprochen. Die Festigkeit, mit der es seine Ansicht allen Beteiligten gegenüber vertreten habe, offenbare in Verbindung mit seiner Ankündigung, ggf. wegzulaufen, um zur Mutter zurückkehren zu können, dass seine zwangsweise Rückführung in den väterlichen Haushalt mit dem Kindeswohl nicht vereinbar wäre. Vielmehr wäre im Fall eines erneuten Umgebungswechsels vor abschließender Entscheidung über das Sorgerecht im Rahmen des Scheidungsverbundverfahrens zu befürchten, dass das Kind seelischen Schaden nehme.
Link zur Entscheidung
Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 05.03.2007, 9 UF 214/06