1 Leitsatz
Bei größeren Erhaltungsmaßnahmen müssen vor einem Erhaltungsbeschluss alle Mängel bekannt sein. Ferner muss bekannt sein, welche Kosten für die Erhaltungsmaßnahmen anfallen werden.
2 Normenkette
§§ 18 Abs. 2, 19 Abs. 1, 27 Abs. 2 WEG
3 Das Problem
Seit mehreren Jahren treten an einem in Wohnungseigentum aufgeteilten Gebäude Feuchtigkeitsschäden auf. Die Wohnungseigentümer beschließen daher im Juni 2018, bestimmte Bauteile zu überprüfen. Im Jahr 2019 werden den Wohnungseigentümern die Ergebnisse vorgestellt. Im Jahr 2020 wird ein "Bauausschuss" gebildet. Im Jahr 2021 beschließen die Wohnungseigentümer nach diesen Klärungen, alle Fenster auszutauschen.
Gegen diesen Beschluss geht Wohnungseigentümer K vor. Er meint, es handele sich um eine "Luxussanierung", da nur begrenzte Schäden bekämpft werden müssten. Der Austausch der Fenster sei mithin unverhältnismäßig. Die beschlossenen Erhaltungsmaßnahmen seien außerdem mangelhaft vorbereitet worden.
4 Die Entscheidung
Die Anfechtungsklage hat Erfolg! Bei größeren Erhaltungsmaßnahmen müssten vor einem Erhaltungsbeschluss alle Mängel bekannt sein. Bereits an dieser Voraussetzung fehle es. Denn die Wohnungseigentümer hätten bestimmt, dass ein Architekt mit der Prüfung "weiterer" Feuchtigkeitsprobleme beauftragt werden solle. Dies zeige, dass der Reparaturbedarf nicht "durchermittelt" gewesen sei. Im Übrigen räume die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ein, im Rahmen einer Bau-Begleitung seien ergänzende Bestandsaufnahmen und Bauteilöffnungen notwendig geworden. Im Rahmen einer "Notwendigkeitsuntersuchung" seien nicht zerstörerische Bauteilöffnungen aber von Anfang an vorzunehmen und auch zumutbar. Bei größeren Erhaltungsmaßnahmen müsse ferner bekannt sein, welche Kosten anfallen werden. Auch an dieser Voraussetzung fehle es. Denn die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer habe die möglichen KfW-Zuschüsse vor der Beschlussfassung nicht durchrechnen lassen. Wenn die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer vortrage, diese seien vor dem Beschluss nicht ermittelbar gewesen, so sei dies unrichtig. Ein Energieberater hätte für die einzelnen Maßnahmen die Zuschusshöhen nennen können, ggf. im Wege der Schätzung mit einer mitzuteilenden Bandbreite. Im Übrigen sei der Umfang der beschlossenen Maßnahme(n) nur durch Bezugnahme auf eine "Bieterliste" und durch 4 "Bulletpoints" kursorisch unter schlagwortartiger Nennung von Gewerken (z. B. "Wiederherstellungsarbeiten am Wärmeverbundsystem") dargestellt worden. Die Bezugnahme auf "vorgelegte Planungs- und Ausschreibungsergebnisse" sei nicht konkret genug. Weder das Fenstermaterial noch die Fenstermarke für die weitgehend auszutauschenden Fenster seien beschrieben worden. Und auch die Maßnahmen am Wärmeverbundsystem seien vom Umfang und Methodik her völlig unklar.
Es habe im Übrigen keiner ordnungsmäßigen Verwaltung entsprochen, die Auswahl des Werkunternehmers auf den Verwalter zu delegieren. Eine Delegation sei nur bei kleinen Maßnahmen von untergeordneter Bedeutung und begrenztem finanziellen Risiko für einzelne Wohnungseigentümer zulässig. § 9b Abs. 1 WEG erlaube es nicht, dem Verwalter umfangreiche Auswahlrechte zu geben. Die Regelung betreffe die Vertretung der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer durch den Verwalter nach außen, nicht die Verwalterbefugnis nach innen.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall beschließen Wohnungseigentümer, Mängeln der Gebäudehülle entgegenzutreten. Sie entscheiden sich im Ergebnis nicht für einzelne Reparaturmaßnahmen, sondern für den Austausch der Fenster. Daher fragt sich, wie ein solcher Erhaltungsbeschluss vorzubereiten ist.
Erhaltungsbeschluss
Ist – wie im Fall – das gemeinschaftliche Eigentum zu erhalten, besteht grundsätzlich kein Ermessen für das "Ob". Für den Beschluss, welche Maßnahme mit welchen Mitteln auf welche Art und Weise angegangen wird, besteht hingegen Ermessen. Bei der Prüfung ist beispielsweise nach Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl., § 19 Rn. 103 u. a. folgenden Fragen nachzugehen:
- Welche von mehreren notwendigen Maßnahmen zuerst ansteht. Für den Beschluss, welche Maßnahme mit welchen Mitteln auf welche Art und Weise oder welche von mehreren anstehenden Maßnahmen zuerst durchgeführt werden soll, besteht Ermessen.
- Welchen Mängeln im Einzelnen entgegenzutreten ist bzw. welche Mängel eingetreten sind.
- Welche Ursachen die Mängel haben.
- Ob die geplanten Maßnahmen den allgemein anerkannten Stand der Technik sowie die Regeln der Baukunst beachten.
- Ob durch Angebote aufgeklärt ist, welche Möglichkeiten der Mangelbehebung in Betracht kommen.
- In welchen Schritten vorzugehen ist.
- Wie die Mittel für die geplante Erhaltungsmaßnahme aufgebracht werden. Der Erhaltungsbeschluss entspricht dabei grundsätzlich nur dann ordnungsmäßiger Verwaltung, wenn die Kostenfrage mitgeregelt ist.
- Ob eine Kosten-Nutzen-Analyse vorgenommen worden ist. Es kann danach im Einzelfall ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen, aus wirtschaftlichen Gründen keine Erhaltungsmaßnahme zu ergreifen, z. B. bei einer Heizungsanlage keinen Zwischenzähler zur Ermittlung des Betriebsstroms einzubauen, oder diese E...