Leitsatz

Die Parteien stritten sich um den von dem unterhaltspflichtigen Vater an eine im Jahre 2000 geborene nichteheliche Tochter zu zahlenden Kindesunterhalt. Das minderjährige Kind lebte bei der Mutter und erhielt Unterhaltsvorschuss. Es ging primär um die Frage, in welcher Höhe sich der Unterhaltsschuldner fiktives Einkommen anrechnen lassen musste.

 

Sachverhalt

Der im Jahre 1977 geborene und ledige Beklagte war der Vater der nichtehelich geborenen Klägerin. Er war mit kurzen Unterbrechungen seit 1999 arbeitslos, hatte keinen Schulabschluss und keine abgeschlossene Ausbildung. Von 1992 bis 1993 absolvierte er ein berufsvorbereitendes Jahr und begann 1994 bei seinem Onkel eine Lehre als Hoch- und Tiefbauer, die er im zweiten Lehrjahr wegen familiärer Streitigkeiten abbrach. In den Jahren 1997 und 1998 war er als Hilfsarbeiter tätig und verdiente ca. 1.000,00 DM monatlich. Während seiner Arbeitslosigkeit nahm er an berufsfördernden Maßnahmen des Bildungswerkes und der IHK teil. Zum Zeitpunkt des von der Klägerin gegen ihn geführten Unterhaltsprozesses erhielt er Hilfe zum Lebensunterhalt i.H.v. 345,00 EUR monatlich.

Die Klägerin vertrat die Auffassung, er müsse sich ein fiktives Einkommen anrechnen lassen, zumal er angesichts seiner gesteigerten Erwerbsobliegenheit auch einer Nebenerwerbstätigkeit nachgehen müsse. Im Baugewerbe liege der Mindeststundenlohn bei 8,80 EUR, so dass bei fiktiver Berechnung der Regelunterhalt zu 100 % gezahlt werden könne.

Sie nahm ihn auf Zahlung monatlichen Unterhalts i.H.v. 100 % des Regelunterhalts gem. § 2 der RegelbetragsVO in Anspruch.

Der Beklagte berief sich auf Leistungsunfähigkeit im Hinblick darauf, dass er wegen seiner fehlenden Qualifikation kein Einkommen erzielen könne, das über den Selbstbehalt hinausgehe.

Das erstinstanzliche Gericht ist der Auffassung des Beklagten gefolgt, hat ihn als leistungsunfähig angesehen und die Klage abgewiesen.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und ihre erstinstanzlichen Klageanträge weiterverfolgt.

Das FamG hat in der ersten Instanz eine Tarifauskunft des Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit zum Mindestlohn im Baugewerbe für ungelernte Arbeitnehmer eingeholt.

 

Entscheidung

Anders als das erstinstanzliche Gericht vertrat das OLG die Auffassung, der Beklagte müsse sich als leistungsfähig behandeln lassen, weil er seine fehlende Leistungsfähigkeit nicht schlüssig dargelegt habe. Diese bestimme sich nicht ausschließlich nach seinem tatsächlichen, sondern nach dem in zumutbarer Weise erzielbaren Einkommen.

Die Darlegungs- und Beweislast für eine unter Umständen fehlende Leistungsfähigkeit treffe nach der gesetzlichen Konzeption des § 1603 BGB den Beklagten als Unterhaltsschuldner. Dies gelte uneingeschränkt so lange, wie die Unterhaltsforderung - wie im vorliegenden Fall - nicht über den Regelunterhalt nach der Regelbetrag-VO zu § 1612a BGB hinausgehe (vgl. BGH v. 6.2.2002 - XII ZR 20/00, BGHReport 2002, 323 = MDR 2002, 644 = FamRZ 2002, 536 ff.).

Selbst bei unverschuldeter Arbeitslosigkeit müsse der Unterhaltsverpflichtete alles Zumutbare unternehmen, um durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit seine Leistungsfähigkeit wieder herzustellen. Die unternommenen Anstrengungen müssten im Unterhaltsprozess konkretisiert werden durch eine nachprüfbare Aufstellung der Bewerbungen. Der Vortrag des Beklagten genüge diesen Voraussetzungen nicht.

Abgesehen davon hatte das OLG im Hinblick auf die eigenen Einlassungen des Beklagten erhebliche Zweifel, ob es sich bei den vorgelegten Schreiben tatsächlich um echte Bewerbungen gehandelt habe. Schließlich sei in keiner Weise dargetan, ob und in welchem Umfang er sich nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses um eine Arbeitsstelle beworben habe.

Der fiktive Lohn sei mit mindestens 1.000,00 EUR anzunehmen. Hierfür spreche zum einen die Auskunft des Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit gegenüber dem erstinstanzlichen Gericht, wonach der Mindestlohn im Baugewerbe für ungelernte Arbeitnehmer 8,80 EUR betrage, zum anderen auch der Umstand, dass der Beklagte im Mai 2006 - wenngleich auch nur für kurze Zeit - tatsächlich eine Tätigkeit mit einem Stundenlohn von 11,00 EUR gefunden habe.

Darüber hinaus war nach Auffassung des OLG das fiktive Einkommen noch um mindestens 150,00 EUR zu erhöhen, da dem Beklagten angesichts seiner gesteigerten Erwerbsobliegenheit eine Nebentätigkeit zuzumuten sei, aus der erfahrungsgemäß monatlich mindestens ein Betrag von 150,00 EUR bis 200,00 EUR zu erzielen sei.

Es sei damit von einem fiktiven Einkommen i.H.v. mindestens 1.150,00 EUR auszugehen. Dieser Betrag reiche zur Leistung des Regelbetrages auch unter Berücksichtigung des Selbstbehalts des Beklagten aus.

 

Link zur Entscheidung

OLG Naumburg, Urteil vom 17.08.2006, 4 UF 10/06

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