Entscheidungsstichwort (Thema)
Erhöhung des fiktiven Arbeitslohnes des Unterhaltsschuldners durch Einkünfte aus einer Nebentätigkeit bei gesteigerter Erwerbsobliegenheit
Leitsatz (amtlich)
Der Senat hat eine Auskunft des Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit zum Mindestlohn im Baugewerbe für ungelernte Arbeitnehmer eingeholt.
Der so ermittelte fiktive Lohn wurde um 150 EUR erhöht, da für den Beklagten eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit besteht und er diesen Betrag durch Austragen von Zeitschriften, Zeitungen oder Prospekten erzielen kann.
Normenkette
BGB § 1603
Verfahrensgang
AG Halle-Saalkreis (Urteil vom 16.03.2006; Aktenzeichen 28 F 1430/05) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das am 16.3.2006 verkündete Urteil des AG - FamG - Halle-Saalkreis abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ab dem 1.9.2006 einen monatlichen Unterhalt i.H.v. 100 % des Regelbetrages (Ost) gem. § 2 Regelbetragverordnung der 1. Altersstufe, abzgl. des jeweiligen anteiligen staatlichen Kindergeldes, derzeit 11 EUR, ab dem 1.12.2006 100 % des Regelbetrages (Ost) gem. § 2 Regelbetragverordnung der 2. Altersstufe, abzgl. des jeweiligen anteiligen staatlichen Kindergeldes, derzeit 0 EUR, und ab dem 1.12.2012 100 % des Regelbetrages (Ost) gem. § 2 Regelbetragverordnung der 3. Altersstufe, abzgl. des jeweiligen anteiligen staatlichen Kindergeldes, derzeit 0 EUR, zu Händen der gesetzlichen Vertreterin zu zahlen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Streitwert wird auf 2.124 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die am 25.12.2000 geborene Klägerin ist die nichteheliche Tochter des Beklagten, sie lebt bei der Mutter und erhält Unterhaltsvorschuss. Der Beklagte ist ledig, 29 Jahre alt (geb. 2.8.1977) und nur mit kurzen Unterbrechungen seit 1999 arbeitslos. Er hat keinen Schulabschluss und keine abgeschlossene Ausbildung. Von 1992 bis 1993 absolvierte er ein berufsvorbereitendes Jahr und begann 1994 bei seinem Onkel eine Lehre als Hoch- und Tiefbauer, die er im zweiten Lehrjahr wegen familiärer Streitigkeiten abbrach. In den Jahren 1997 und 1998 war er als Hilfsarbeiter tätig und verdiente damals ca. 1.000 DM. Während seiner Arbeitslosigkeit nahm er an berufsfördernden Maßnahmen des Bildungswerkes H. (2001 bis 2002) und der IHK H. (2005) teil. Derzeit erhält er monatlich 345 EUR Hilfe zum Lebensunterhalt.
Die Klägerin meint, der Beklagte müsse sich ein fiktives Einkommen anrechnen lassen und deshalb als leistungsfähig angesehen werden, zumal er angesichts seiner gesteigerten Erwerbsobliegenheit auch einer Nebenerwerbstätigkeit nachgehen müsse. Im Baugewerbe liege der Mindeststundenlohn bei 8,80 EUR, so dass bei fiktiver Berechnung der Regelunterhalt zu 100 % gezahlt werden könne.
Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie ab dem ersten Monat nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung einen monatlichen Unterhalt i.H.v. 100 % des Regelunterhaltes gem. § 2 Regelbetragsverordnung der 1. Altersstufe, abzgl. des jeweiligen anteiligen staatlichen Kindergeldes, derzeit 11 EUR, ab dem 1.12.2006 100 % des Regelunterhalts gem. § 2 Regelbetragsverordnung der 2. Altersstufe, abzgl. des jeweiligen anteiligen staatlichen Kindergeldes, derzeit 0 EUR, und ab dem 1.12.2012 100 % des Regelunterhalts gem. § 2 Regelbetragsverordnung der 3. Altersstufe, abzgl. des jeweiligen anteiligen staatlichen Kindergeldes, derzeit 0 EUR, zu Händen der gesetzlichen Vertreterin zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, er sei nicht leistungsfähig. Aufgrund seiner fehlenden Qualifikation bestehe auf dem Arbeitsmarkt für ihn objektiv keine Möglichkeit, ein Einkommen zu erzielen, das über den Selbstbehalt hinausgehe. Er könne lediglich als Hilfsarbeiter tätig sein und auf diese Weise allenfalls einen Stundenlohn von 4,50 EUR bzw. 5,50 EUR in den alten Bundesländern erzielen. Bei durchschnittlich 200 Arbeitsstunden errechne sich ein Einkommen von 900 bzw. 1.100 EUR brutto; nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben verblieben dann nur 650 bzw. 700 EUR.
Das AG ist der Argumentation des Beklagten gefolgt, hat ihn trotz gesteigerter Erwerbsobliegenheit als nicht leistungsfähig angesehen und die Klage abgewiesen.
Gegen diese ihr am 24.3.2006 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 6.4.2006 Berufung eingelegt, die sie am 4.5.2006 begründet hat. Sie rügt, das AG habe es versäumt, den von ihr angebotenen Beweis auf Beiziehung des Bautarifvertrages in der derzeit gültigen Fassung vom 29.7.2005, woraus sich ein Mindestlohn von 8,80 EUR ergebe, zu erheben. Rein spekulativ sei die Annahme, eine Einstellung im Baugewerbe werde allenfalls über eine Arbeitsvermittlungsstelle möglich sein und eine tarifgerechte Bezahlung dann nicht stattfinde. Gleiches gelte für die Ausführungen, gerade im Bereich der Niedriglohntätigkeiten müsse häufig schwere körperliche Arbeit geleistet werden mit einer täglichen Arbeitszeit von mehr als acht Stunden. Das AG habe auc...