Leitsatz
Kernproblem dieser Entscheidung war die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine volljährige Tochter von ihrem Vater Verwandtenunterhalt im Wege der Ersatzhaftung nach §§ 1607, 1615l Abs. 3 BGB verlangen kann.
Sachverhalt
Die Klägerin war die am 25.1.1989 geborene Tochter des Beklagten, den sie auf Zahlung von Kindesunterhalt für die Zeit vom 1.9.2006 bis zum 25.1.2007 in Anspruch nahm. Außerdem verlangte sie ab Februar 2007 Verwandtenunterhalt im Wege der Ersatzhaftung nach §§ 1607, 1615l Abs. 3 BGB.
Die Klägerin war nach der Trennung ihrer Eltern im Jahre 1991 im Haushalt der Mutter väterlicherseits aufgewachsen, die seit 1993 auch die Vormundschaft für sie innehatte. Im November 2005 wechselte sie in den Haushalt ihrer Mutter. Unterhaltszahlungen für sie hatte der Beklagte unter Hinweis auf die gesetzliche Vertretung durch die Großmutter nicht geleistet. Am 11.9.2006 wurde die elterliche Sorge für die Klägerin auf ihre Mutter zurückübertragen, die den Beklagten sodann wirksam zur Zahlung von Unterhalt aufforderte. Da der Beklagte Zahlungen nicht erbrachte, wurde Klage erhoben.
Als selbständiger Holzrückeunternehmer war er im Nebenerwerb als Landwirt tätig. In den Jahren 2004 bis 2006 erzielte er durchschnittliche Einkünfte von 1.748,00 EUR. Darüber hinaus wohnte er mietfrei in einer eigenen Immobilie mit einer Wohnfläche von ca. 150 qm.
Der Beklagte war ggü. der volljährigen Schwester der Klägerin ebenfalls unterhaltspflichtig. Der an sie zu leistende Unterhalt belief sich zuletzt auf 57,50 EUR monatlich.
Die Mutter der Klägerin betreute drei minderjährige Kinder aus ihrer zweiten Ehe. Sie verdiente monatlich ca. 400,00 EUR.
Die Klägerin hatte im Jahre 2005 eine Ausbildung zur Köchin begonnen, die sie unmittelbar vor dem Umzug zu ihrer Mutter abgebrochen hatte. Sie plante zunächst den Besuch einer Berufsfachschule, wurde allerdings im Frühjahr 2006 schwanger. Nach der Geburt ihrer Tochter im Januar 2007 zog sie mit dem Vater ihres Kindes zusammen. Seit der Geburt ihrer Tochter erhielt sie für sich kein Kindergeld mehr. Der Vater der Tochter befand sich seinerzeit noch in einer Ausbildung zum Metallbauer und hat hier bei vollschichtiger Tätigkeit im Jahre 2007 Bruttoeinkünfte i.H.v. insgesamt 5.880,00 EUR erwirtschaftet. Nach Beendigung der Ausbildung im Februar 2008 war er zeitweise arbeitslos und lebte mit der Klägerin von Transferleistungen. Als Weiterbildungsmaßnahme hat er während der Arbeitslosigkeit einen Schweißerlehrgang begonnen, diesen jedoch abgebrochen, nachdem die Fahrtkosten zum Ausbildungsort nicht finanziert wurden. Seit September 2008 war er über eine Zeitarbeitsfirma beschäftigt und arbeitete vollschichtig zu einem Bruttolohn von 7,63 EUR. Die Klägerin bezog seit dem 1.1.2008 Leistungen der Arbeitsförderung für sich und das Kind. Außerdem erhielt sie Erziehungsgeld i.H.v. 300,00 EUR und ging seit dem 1.9.2008 einer Aushilfstätigkeit nach, die mit 100,00 EUR monatlich vergütet wurde.
Das erstinstanzliche Gericht hat ihre Klage abgewiesen. Die hiergegen von ihr eingelegte Berufung war erfolgreich.
Entscheidung
Das OLG kam zu dem Ergebnis, der Beklagte schulde der Klägerin Verwandtenunterhalt, solange sie aus besonderen Umständen nicht dazu in der Lage sei, sich aus eigener Kraft zu unterhalten und solange sie den Vater ihrer Tochter nicht zu Unterhaltszahlungen heranziehen könne.
Für den Zeitraum, in dem die Klägerin noch minderjährig war, gälten folgende Erwägungen:
Das minderjährige Kind könne Unterhaltsansprüche geltend machen, wenn es bedürftig sei. § 1602 BGB bestimme zu Verwandtenunterhalt allgemein, dass unterhaltsberechtigt derjenige sei, der außerstande sei, sich selbst zu unterhalten. Allerdings sei auch das minderjährige, arbeitsfähige Kind dazu verpflichtet, sich in Zeiten, in denen kein Schulbesuch anstehe und die vor Aufnahme einer Ausbildung ständen, sich durch geeignete Erwerbsbemühungen an seinem Unterhaltsaufwand zu beteiligen (Palandt/Diederichsen, a.a.O., Rz. 5 zu § 1602 Rz. 19 zu § 1610 BGB).
Für eine maßvolle Überbrückungszeit gelte jedoch, dass die Obliegenheit der Aufnahme einer Nebentätigkeit nicht sogleich greife und die Eltern auf Unterhalt in Anspruch genommen werden könnten.
Die Klägerin sei im September 2006 etwa im fünften Monat schwanger gewesen. Sie habe eine Ausbildung zur Köchin abgebrochen und auf keine andere Qualifikation zurückgreifen können. Im Hinblick darauf ging das OLG davon aus, dass sie als ungelernte Arbeiterin keine Chance auf eine Anstellung in ein Arbeitsverhältnis oder die Aufnahme einer Aushilfstätigkeit gehabt hätte. Gerade im ungelernten Bereich seien in großer Zahl Arbeitskräfte verfügbar, bei denen Arbeitgeber nicht mit derartigen Einschränkungen rechnen müssten. Eine reale Beschäftigungsmöglichkeit habe daher nicht existiert.
Der Klägerin könne für die Zeit vor ihrem 18. Geburtstag daher auch nicht deswegen ein fiktives Einkommen erstellt werden, weil sie eine Ausbildung abgebrochen und sich nicht sogleich um eine Aushilfsstelle...