Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersatzhaftung der Eltern für Unterhalt der nichtehelichen Mutter
Leitsatz (amtlich)
1. Der Anrechnung fiktiver Einkünfte bei der Berechnung eines Anspruchs auf Kindesunterhalt steht § 1611 Abs. 2 BGB auch dann entgegen, wenn das minderjährige Kind eine vorangegangene Ausbildung abgebrochen hat und es sich um die Ersatzhaftung nach dem nichtehelichen Vater gem. § 1651l Abs. 3, 1607 BGB handelt.
2. Die Ersatzhaftung der Eltern der nichtehelichen Mutter erstreckt sich nach Maßgabe des § 1615 I Abs. 1 BGB auf die Zeit von sechs Wochen vor bis acht Wochen nach der Geburt des Kindes, weil wegen der Beschäftigungsverbote nach §§ 3 Abs. 2, 6 MuschG die Berechtigte eine Erwerbstätigkeit nicht ausüben muss.
3. Die Ersatzhaftung der Eltern der nichtehelichen Mutter ist in der Regel auf den Zeitraum begrenzt, in der nach § 1615 I Abs. 2 BGB der nichteheliche Vater auf Unterhaltszahlungen in Anspruch genommen werden könnte.
4. Die Frage, wie lang Eltern einer nichtehelichen Mutter auf eine Ersatzhaftung in Anspruch genommen werden können, ist nach den Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung des in § 1602 BGB normierten Grundsatzes der Eigenverantwortlichkeit des volljährigen Kindes zu entscheiden. Dabei ist u.a. darauf abzustellen, welchen Ausbildungsstand die Unterhaltsberechtigte hat, welche Kinderbetreuungsmöglichkeiten tatsächlich zur Verfügung stehen und welchen Beitrag der Vater des nichtehelichen Kindes zu dessen Betreuung leisten kann.
Normenkette
BGB §§ 1602, 1607, 1610-1611, 1615 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Melsungen (Aktenzeichen 55 F 1529/06 UK) |
Gründe
I. Die Klägerin ist die am ... 1989 geborene Tochter des Beklagten. Sie nimmt den Beklagten auf Zahlung von Kindesunterhalt für die Zeit vom 1.9.2006 bis zum 25.1.2007 in Anspruch und verlangt außerdem ab Februar 2007 Verwandtenunterhalt im Wege der Ersatzhaftung nach §§ 1607, 1615I Abs. 3 BGB.
Die Klägerin ist nach der Trennung ihrer Eltern 1991 im Haushalt der Großmutter väterlicherseits aufgewachsen, die seit 1993 auch die Vormundschaft für sie innehatte. Im November 2005 wechselte sie in den Haushalt ihrer Mutter. Unterhaltszahlungen für sie hat der Beklagte unter Hinweis auf die gesetzliche Vertretung durch die Großmutter nicht erbracht. Am 11.9.2006 ist die elterliche Sorge für die Klägerin auf ihre Mutter zurück übertragen worden, die den Beklagten sodann wirksam zur Zahlung von Unterhalt aufgefordert hat. Da der Beklagte keine Zahlungen erbrachte, ist Klage erhoben worden. Das Verfahren ist ausgesetzt worden, weil der Beklagte unter Berufung auf ein von ihm anhängig gemachtes Vaterschaftsanfechtungsverfahren seine Verpflichtung zur Unterhaltszahlung bestritten hat. Nachdem ein Sachverständigengutachten den Beklagten als leiblichen Vater der Klägerin feststellte, ist das Verfahren wieder aufgenommen worden.
Der Beklagte ist selbständiger Holzrückeunternehmer und im Nebenerwerb als Landwirt tätig. Er hat im Jahr 2004 ein bereinigtes Einkommen i.H.v. 19.298,50 EUR, im Jahr 2005 i.H.v. 29.744 EUR und im Jahr 2006 von 13.917 EUR erwirtschaftet, so dass ihm durchschnittlich 1.748 EUR zur Verfügung standen. Der Beklagte wohnt mietfrei in der eigenen Immobilie, die eine Wohnfläche von 150 m2 aufweist.
Der Beklagte ist ggü. der volljährigen Schwester der Klägerin ebenfalls unterhaltspflichtig. Nach Aufnahme einer Ausbildung ist die Unterhaltspflicht ihr gegenüber in Abänderung eines Vergleichs vom 24.7.1991 herabgesetzt worden; er schuldete nun von Mai 2008 bis Juli 2008 monatlich 118,40 EUR und von August bis Dezember 2008 monatlich 67,50 EUR Unterhalt. Von Januar bis Juli 2009 beläuft sich der vergleichsweise titulierte Unterhaltsanspruch der Schwester auf monatlich 57,50 EUR.
Die Mutter der Klägerin betreut drei minderjährige Kinder, die aus ihrer zweiten Ehe hervorgegangen sind; sie verdient monatlich etwa 400 EUR (Bl. 155-166 Bd. I d.A.).
Die Klägerin hat im Jahr 2005 eine Ausbildung zur Köchin begonnen, die sie unmittelbar vor dem Umzug zu ihrer Mutter abgebrochen hat. Sie plante zunächst den Besuch einer Berufsfachschule, um dort den Realschulabschluss nachzuholen und eine Ausbildung zur Kindergärtnerin zu absolvieren. Allerdings ist sie im Frühjahr 2006 schwanger geworden. Nach der Geburt ihrer Tochter am ... 2007 ist sie mit dem Vater der Kindes, Herrn X, zusammengezogen. Seit der Geburt der Tochter erhält sie für sich kein Kindergeld mehr. Der Vater der Tochter befand sich seinerzeit noch in einer Ausbildung zum Metallbauer und hat hier bei vollschichtiger Tätigkeit im Jahr 2007 Bruttoeinkünfte i.H.v. insgesamt 5.880 EUR erwirtschaftet (Bl. 142 Bd. I d.A.). Nach Beendigung der Ausbildung zum Februar 2008 war er eine Zeitlang arbeitslos und lebte (mit der Klägerin) von Transferleistungen. Als Weiterbildungsmaßnahme hat er während der Arbeitslosigkeit einen Schweißerlehrgang angefangen; diesen hat er abgebrochen, weil die Fahrtkosten zum Ausbildungsort nicht finanziert wurden. Er ist seit September 2008 über eine Zeitarbeitsfi...