A. Einführung
I. Rechtsgrundlagen
Rz. 1
Die mit Abstand populärste Gesellschaftsform in Estland ist die in §§ 135 ff. Handelsgesetzbuch (Äriseadustik; im Folgenden HGB) geregelte Gesellschaft mit beschränkter Haftung (estn. osaühing; im Folgenden OÜ). So waren am 1. Juni 2021 mehr als 228.000 OÜs, etwa 28.000 Einzelunternehmer und etwa 2.700 Aktiengesellschaften, gefolgt von einer erheblich kleineren Anzahl anderer Gesellschaftsformen, im Handelsregister eingetragen.
Rz. 2
Die OÜ ist – wie auch nach deutschem Recht – eine selbstständige juristische Person. Für Gesellschaftsverbindlichkeiten haftet die Gesellschaft den Gläubigern gegenüber mit ihrem gesamten Vermögen. Die Gesellschafter der OÜ haften für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft grundsätzlich nicht persönlich. Als Ausgleich für diese Einschränkung (beschränkte Haftung) trägt die Rechtsordnung dafür Sorge, dass dem Gläubiger der Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen möglich ist. Gewährleistet wird dies durch Vorschriften über die Aufbringung des Stammkapitals, über das Verbot der Rückzahlung von Einlagen an die Gesellschafter sowie Vorschriften, die in wirtschaftlichen Krisen der Gesellschaft gewährleisten, dass der Gesellschaft entweder Kapital zugeführt werden muss oder aber die OÜ aufgelöst und liquidiert wird. Die Mindesthöhe des Stammkapitals beträgt 2.500 EUR. Der Nennwert eines Anteils muss mindestens 1 Cent betragen oder ein Vielfaches von 1 Cent sein. Die OÜ hat bei ihrem Firmennamen den Zusatz "osaühing" oder "OÜ" zu tragen.
Rz. 3
Das estnische Handelsgesetzbuch hat die wesentlichen Teile des deutschen Handels- und Gesellschaftsrechts, nämlich des Handelsgesetzbuches, GmbH-Gesetzes, Aktiengesetzes und Umwandlungsgesetzes, übernommen. Auch der EU-Beitritt hatte maßgeblichen Einfluss auf die estnische Gesetzgebung.
II. Gesellschaftsformen
Rz. 4
Grundsätzliche Regelungen zu juristischen Personen sind im Allgemeinen Teil des estnischen Zivilgesetzbuches (Tsiviilseadustiku üldosa seadus, im Folgenden TsÜS) festgehalten. Wie bereits ausgeführt, ist das estnische Gesellschaftsrecht im engeren Sinn maßgeblich im HGB geregelt. Die Auflistung der zur Verfügung stehenden Gesellschaftsformen befindet sich in den §§ 1 und 2 Abs. 1 HGB. Demzufolge müssen Unternehmen in einer der folgenden Formen organisiert sein:
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Einzelunternehmer/Einzelkaufmann (füüsilisest isikust ettevõtja; im Folgenden FIE); |
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offene Handelsgesellschaft (täisühing; im Folgenden TÜ); |
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Kommanditgesellschaft (usaldusühing; im Folgenden UÜ); |
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Gesellschaft mit beschränkter Haftung (osaühing; im Folgenden OÜ); |
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Aktiengesellschaft (aktsiaselts; im Folgenden AS); |
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kaufmännische Vereinigung (tulundusühistu; im Folgenden ühistu); |
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Filiale (Eesti filiaal). |
Rz. 5
Eine der Gesellschaft bürgerlichen Rechts nach deutschem Recht ähnliche Gesellschaftsform wird als "Zivilgesellschaft" bezeichnet (seltsing) und ist in den Vorschriften der §§ 580–609 des Schuldrechtsgesetzes (Võlaõigusseadus; im Folgenden SchRG) geregelt. Misch- und Sonderformen von Gesellschaften (z.B. GmbH & Co. KG) werden im HGB nicht ausdrücklich erwähnt und sie kommen in der Praxis selten vor. Die Vorschriften bestimmen aber, dass Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft sowohl natürliche als auch juristische Personen sein können, das estnische Recht spricht also nicht gegen solche Gesellschaftsformen.
B. Gründung der Gesellschaft
I. Überblick über das Gründungsverfahren
1. Gründungsdokumente
Rz. 6
Regelungen über die Gründung einer Gesellschaft finden sich im HGB. Um eine OÜ zu gründen, sind der Abschluss eines Gründungsvertrags oder – bei nur einem Gründer – ein Gründungsbeschluss, die Festlegung einer Satzung sowie die Eintragung in das Handelsregister erforderlich.
2. Formelle Vorgaben
Rz. 7
Sowohl der Gründungsvertrag bzw. -beschluss als auch die Satzung müssen nach Vertragsschluss zur Eintragung beim Handelsregister (Registriosakond) eingereicht werden. Der Antrag zur Eintragung muss von allen Geschäftsführern unterschrieben sein und ist notariell zu beglaubigen. Eine persönliche Anmeldung ist jedoch nicht erforderlich. Auch eine zur Vertretung befugte Person ist berechtigt, den Antrag abzugeben. Die Bevollmächtigungsurkunde muss dem Registergericht bei der Anmeldung ebenfalls in notariell beglaubigter Form vorgelegt werden.
Ein Antrag kann auch ohne einen Notar mittels Legitimierung durch elektronische Unterschrift eingereicht werden. Seit 1.1.2009 ist eine Anmeldung der Gesellschaft auch auf elektronischem Wege "online" möglich, wenn man sich mit einer entsprechenden ID-Karte oder Mobil-ID identifizieren kann. Dabei wird alles online abgewickelt: die Eröffnung eines Startkontos, die Überweisung des Stammkapitals, die Überweisung der Gründungsgebühr und das Ausfüllen, Unterzeichnen und Abschicken der Unterlagen für die Anmeldung.
Rz. 8
Der Antrag muss gem. § 145 HGB folgende Angaben enthalten:
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Name der Gesellschaft; |
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Sitz und Anschrift der Gesellschaft; |
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Geplante Tätigkeit der Gesellschaft; |
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Name, Personenkennziffer (ode... |