Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Fehlen eines vernünftigen Zweifels. Luftverkehr. Begriff ‚Annullierung’. Flug mit unplanmäßiger Zwischenlandung
Normenkette
Verfahrensordnung des Gerichtshofs Art. 99; Verordnung (EG) Nr. 261/2004 Art. 2 Buchst. l
Beteiligte
Bulgarian Air Charter Limited |
Tenor
Art. 2 Buchst. l der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass ein Flug, bei dem der Abflug- und der Ankunftsort mit dem vorgesehenen Flugplan in Einklang stehen, jedoch eine unplanmäßige Zwischenlandung erfolgte, nicht als annulliert angesehen werden kann.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Amtsgericht Dresden (Deutschland) mit Entscheidung vom 10. Dezember 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Januar 2016, in dem Verfahren
Ute Wunderlich
gegen
Bulgarian Air Charter Limited
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. Šváby (Berichterstatter) sowie der Richter M. Safjan und M. Vilaras,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Bulgarian Air Charter Limited, vertreten durch Rechtsanwalt P. Kauffmann,
- der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und M.-L. Kitamura als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Mölls und K. Simonsson als Bevollmächtigte,
aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Buchst. l der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Ute Wunderlich und der Bulgarian Air Charter Limited, einem Luftfahrtunternehmen, über dessen Weigerung, ihr eine Ausgleichszahlung zu leisten, weil bei ihrem Flug vor der Ankunft am Zielort eine unplanmäßige Zwischenlandung erfolgt war.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 1, 2 und 4 der Verordnung Nr. 261/2004 lauten:
„(1) Die Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.
(2) Nichtbeförderung und Annullierung oder eine große Verspätung von Flügen sind für die Fluggäste ein Ärgernis und verursachen ihnen große Unannehmlichkeiten.
…
(4) Die Gemeinschaft sollte deshalb die … festgelegten Schutzstandards erhöhen, um die Fluggastrechte zu stärken und um sicherzustellen, dass die Geschäftstätigkeit von Luftfahrtunternehmen in einem liberalisierten Markt harmonisierten Bedingungen unterliegt.”
Rz. 4
Art. 2 Buchst. l der Verordnung definiert den Begriff „Annullierung” als „die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war”.
Rz. 5
Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 bestimmt:
„Bei Annullierung eines Fluges [wird] den betroffenen Fluggästen
…
c) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,
i) sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, oder
ii) sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen, oder
iii) sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.”
Rz. 6
Nach Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung erhalten die Fluggäste u. a. im Fall der Annullierung eines Fluges eine Ausgleichszahlung in Höhe von 250 Euro bei allen Flügen über eine Entfernung von 1 500 km oder weniger.
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
Rz. 7
Frau Wunderlich buchte bei Bulgarian Air Charter...