Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Einem Obersten Gericht von seinem Ersten Präsidenten vorgelegte Rechtsfragen. Fehlen eines Rechtsstreits vor dem vorlegenden Gericht. Offensichtliche Unzulässigkeit
Normenkette
Verfahrensordnung des Gerichtshofs Art. 53 Abs. 2; AEUV Art. 267
Beteiligte
Tenor
Das vom Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) mit Entscheidung vom 2. September 2021 eingereichte Vorabentscheidungsersuchen ist offensichtlich unzulässig.
Tatbestand
In der Rechtssache C-658/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) mit Entscheidung vom 2. September 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Oktober 2022, im Rahmen der Vorlage durch dessen Erste Präsidentin,
Beteiligter:
Prokurator Generalny,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer),
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten Z. Csehi sowie der Richter I. Jarukaitis (Berichterstatter) und D. Gratsias,
Generalanwalt: A. Rantos,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – des Prokurator Generalny, vertreten durch R. Hernand,
- – der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und S. Żyrek als Bevollmächtigte,
- – der dänischen Regierung, vertreten durch M. P. B. Jespersen, J. F. Kronborg und C. A.-S. Maertens als Bevollmächtigte,
- – der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und J. Langer als Bevollmächtigte,
- – der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Runeskjöld und H. Shev als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Herrmann und P. J. O. Van Nuffel als Bevollmächtigte,
aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 53 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2, von Art. 6 Abs. 1 und 3 sowie von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 267 AEUV und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen der Prüfung von Rechtsfragen, die die Erste Präsidentin des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) der Zivilkammer dieses Gerichts in vollständiger Besetzung vorgelegt hat und die die Auswirkungen der Feststellung der Missbräuchlichkeit von Klauseln betreffen, die in Darlehensverträge aufgenommen wurden, die auf eine Fremdwährung lauten oder an eine solche gekoppelt sind.
Polnisches Recht
Verfassung
Rz. 3
In Art. 144 Abs. 2 und 3 der Konstytucja Rzeczypospolitej Polskiej (Verfassung der Republik Polen, im Folgenden: Verfassung) heißt es:
„(2) Amtsakte des Präsidenten der Republik bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Vorsitzenden des Ministerrates, der infolge der Unterzeichnung die Verantwortung vor dem Sejm [(Abgeordnetenkammer, Polen)] trägt.
(3) Die Vorschrift des Abs. 2 gilt nicht für:
…
17. die Berufung von Richtern,
…“
Rz. 4
Gemäß Art. 179 der Verfassung werden die Richter vom Präsidenten der Republik auf Vorschlag der Krajowa Rada Sądownictwa (Landesjustizrat, Polen) (im Folgenden: KRS) auf unbestimmte Zeit berufen.
Rz. 5
Art. 187 der Verfassung bestimmt:
„1. Die [KRS] besteht aus:
1. dem Ersten Präsidenten des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)], dem Justizminister, dem Präsidenten des [Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen)] und einer vom Präsidenten der Republik berufenen Person,
2. fünfzehn Mitgliedern, die aus der Mitte der Richter des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)], der ordentlichen Gerichte, der Verwaltungs- und Militärgerichte gewählt worden sind,
3. vier Mitgliedern, die von der [Abgeordnetenkammer] aus der Mitte der Abgeordneten gewählt worden sind, und zwei Mitgliedern, die vom Senat aus der Mitte der Senatoren gewählt worden sind.
…“
Gesetz über das Oberste Gericht
Rz. 6
Art. 29 §§ 2 und 3 der Ustawa o Sądzie Najwyższym (Gesetz über das Oberste Gericht) vom 8. Dezember 2017 (Dz. U. 2018, Position 5), bestimmt in der durch die Ustawa o zmianie ustawy – Prawo o ustroju sądów powszechnych, ustawy o Sądzie Najwyższym oraz niektórych innych ustaw (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit, des Gesetzes über das Oberste Gericht und einiger anderer Gesetze) vom 20. Dezember 2019 (Dz. U. 2020, Position 190) (im Folgenden: Gesetz über das Oberste Gericht) geänderten Fassung:
„§ 2. Im Rahmen der Tätigkeit des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] oder seiner Organe ist es nicht zulässig, die Legitimität der [Gerichte], der Verfassungsorgane des Staates oder der Organe zur Kontrolle und zum Schutz des Rechts in Frage zu stellen.
§ 3. Der [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] oder ein anderes Staatsorgan darf die Rechtmäßigkeit der Ernennung eines Richters oder der sich aus dieser Ernennung ergebenden Befugnis zur Wahrnehm...