Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Begriff ‚Gericht‘. Kriterien. Izba Kontroli Nadzwyczajnej i Spraw Publicznych (Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten) des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen). Vorabentscheidungsersuchen eines Spruchkörpers, der kein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht ist. Unzulässigkeit
Normenkette
AEUV Art. 267
Beteiligte
Krajowa Rada Sądownictwa (Maintien en fonctions d’un juge) |
Tenor
Das mit Entscheidung vom 20. Oktober 2021 eingereichte Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Najwyższy (Izba Kontroli Nadzwyczajnej i Spraw Publicznych) (Oberstes Gericht [Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten], Polen) ist unzulässig.
Tatbestand
In der Rechtssache C-718/21
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Najwyższy (Izba Kontroli Nadzwyczajnej i Spraw Publicznych) (Oberstes Gericht [Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten], Polen) mit Entscheidung vom 20. Oktober 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 26. November 2021, in dem Verfahren
L. G.
gegen
Krajowa Rada Sądownictwa
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, der Kammerpräsidentinnen A. Prechal (Berichterstatterin) und K. Jürimäe, der Kammerpräsidenten C. Lycourgos und Z. Csehi und der Kammerpräsidentin O. Spineanu-Matei sowie der Richter M. Ilešič, S. Rodin, I. Jarukaitis, A. Kumin, N. Jääskinen und D. Gratsias, der Richterin M. L. Arastey Sahún und des Richters M. Gavalec,
Generalanwalt: A. Rantos,
Kanzler: C. Di Bella, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. November 2022,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der Krajowa Rada Sądownictwa, vertreten durch A. Dalkowska, J. Kołodziej-Michałowicz, D. Pawełczyk-Woicka und P. Styrna,
- – der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und S. Żyrek als Bevollmächtigte,
- – der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet, M. Jacobs, L. van den Broeck und M. van Regemorter als Bevollmächtigte,
- – der dänischen Regierung, vertreten durch V. Pasternak Jørgensen und M. Søndahl Wolff als Bevollmächtigte,
- – der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und P. P. Huurnink als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Herrmann und P. J. O. Van Nuffel als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. März 2023
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen L. G. und der Krajowa Rada Sądownictwa (Landesjustizrat, Polen) (im Folgenden: KRS) über eine Entscheidung, mit der das Verfahren betreffend den Antrag von L. G., sein Richteramt nach Erreichen des Regelruhestandsalters weiter ausüben zu dürfen, eingestellt wurde.
Rechtlicher Rahmen
Verfassung
Rz. 3
Art. 10 der Konstytucja Rzeczypospolitej Polskiej (Verfassung der Republik Polen, im Folgenden: Verfassung) bestimmt:
„(1) Die Ordnung der Republik Polen stützt sich auf die Trennung und das Gleichgewicht der gesetzgebenden, der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt.
(2) Die gesetzgebende Gewalt üben Sejm [(Erste Kammer des Parlaments, Polen)] und Senat [(Zweite Kammer des Parlaments, Polen)], die vollziehende Gewalt der Präsident der Republik Polen und der Ministerrat, die rechtsprechende Gewalt Gerichte und Gerichtshöfe aus.“
Rz. 4
Art. 45 Abs. 1 der Verfassung sieht vor:
„Jedermann hat das Recht auf gerechte und öffentliche Verhandlung der Sache ohne unbegründete Verzögerung vor dem zuständigen, unabhängigen, unparteiischen Gericht.“
Rz. 5
Art. 60 der Verfassung lautet:
„Polnische Staatsangehörige, die die vollen bürgerlichen Rechte genießen, haben das Recht auf gleichen Zugang zum öffentlichen Dienst.“
Rz. 6
Art. 77 Abs. 2 der Verfassung bestimmt:
„Das Gesetz darf es niemandem unmöglich machen, verletzte Freiheiten oder Rechte auf dem Gerichtsweg geltend zu machen.“
Rz. 7
Art. 179 der Verfassung sieht vor:
„Die Richter werden vom Präsidenten der Republik Polen auf Vorschlag [der KRS] auf unbestimmte Zeit berufen.“
Rz. 8
Art. 186 Abs. 1 der Verfassung lautet:
„Die [KRS] schützt die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter.“
Rz. 9
Art. 187 der Verfassung bestimmt:
„(1) Die [KRS] besteht aus:
1. dem Ersten Präsidenten des Sąd Najwyższy [(Oberstes Gericht, Polen)], dem Justizminister, dem Präsidenten des Naczelny Sąd Administracyjny [(Oberstes Verwaltungsgericht, Polen)] und einer vom Präsidenten der Republik ernannten Person,
2. 15 Mitgliedern, die aus der Mitte der Richter des Sąd Najwyższy [(Oberstes Gericht)], der ordentlichen Gerichte, der Verwaltungs- und der Militärgerichte gewählt worden sind,
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