Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Rechtsstaatlichkeit. Wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen. Grundsätze der Unabsetzbarkeit der Richter und der richterlichen Unabhängigkeit. Nicht einvernehmliche Versetzung eines Richters eines ordentlichen Gerichts. Rechtsbehelf. Unzulässigkeitsbeschluss eines Richters des Sąd Najwyższy (Izba Kontroli Nadzwyczajnej i Spraw Publicznych) (Oberstes Gericht [Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten], Polen). Richter, der auf der Grundlage einer Entschließung des Landesjustizrats vom Präsidenten der Republik Polen trotz einer Gerichtsentscheidung ernannt wurde, mit der die Aussetzung der Vollziehung dieser Entschließung in Erwartung eines Vorabentscheidungsurteils des Gerichtshofs angeordnet worden war. Richter, der kein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht ist. Vorrang des Unionsrechts. Möglichkeit, einen solchen Unzulässigkeitsbeschluss als nicht existent anzusehen

 

Normenkette

EUV Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2

 

Beteiligte

W. Ż

W.Ż

 

Tenor

Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts sind dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht, das mit einem Ablehnungsantrag im Zusammenhang mit einem Rechtsbehelf befasst ist, mit dem ein Richter, der in einem Gericht tätig ist, das Unionsrecht auslegen und anwenden kann, eine Entscheidung anficht, durch die er ohne seine Zustimmung versetzt wurde, einen Beschluss als nicht existent anzusehen hat, mit dem ein letztinstanzlich und in Einzelrichterbesetzung entscheidender Spruchkörper diesen Rechtsbehelf zurückgewiesen hat, wenn eine solche Folge in Anbetracht der in Rede stehenden Verfahrenslage unerlässlich ist, um den Vorrang des Unionsrechts zu gewährleisten, und wenn sich aus der Gesamtheit der Bedingungen und Umstände, unter denen das Verfahren zur Ernennung dieses Einzelrichters stattgefunden hat, ergibt, dass die Ernennung unter offensichtlicher Verletzung der Grundregeln erfolgt ist, die Bestandteil der Errichtung und der Funktionsfähigkeit des betroffenen Justizsystems sind, und dass die Integrität des Ergebnisses dieses Ernennungsverfahrens dadurch gefährdet ist, dass bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des betreffenden Richters geweckt werden, so dass der genannte Beschluss nicht als von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV erlassen angesehen werden kann.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Najwyższy (Izba Cywilna) (Oberstes Gericht [Zivilkammer], Polen) mit Entscheidung vom 21. Mai 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Juni 2019, in dem Verfahren

W.Ż.,

Beteiligte:

Prokurator Generalny zastępowany przez Prokuraturę Krajową, vormals Prokurator Prokuratury Krajowej Bożena Górecka,

Rzecznik Praw Obywatelskich,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), der Kammerpräsidenten M. Vilaras, E. Regan, M. Ilešič, L. Bay Larsen, A. Kumin und N. Wahl, der Richter D. Šváby, S. Rodin und F. Biltgen, der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter C. Lycourgos und N. Jääskinen,

Generalanwalt: E. Tanchev,

Kanzler: M. Aleksejev, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. September 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von W.Ż., vertreten durch S. Gregorczyk-Abram und M. Wawrykiewicz, adwokaci,
  • des Prokurator Generalny zastępowany przez Prokuraturę Krajową, vertreten durch R. Hernand, A. Reczka, S. Bańko, B. Górecka und M. Słowińska,
  • des Rzecznik Praw Obywatelskich, vertreten durch P. Filipek und M. Taborowski,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna, S. Żyrek und A. Dalkowska als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Herrmann, P. Van Nuffel und H. Krämer, dann durch K. Herrmann und P. Van Nuffel als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. April 2021

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2, Art. 6 Abs. 1 und 3 sowie Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie von Art. 267 AEUV und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Verfahrens auf Betreiben des Richters W.Ż. wegen einer Entschließung, mit der die Krajowa Rada Sądownictwa (Landesjustizrat, Polen, im Folgenden: KRS) den Widerspruch von W.Ż. gegen eine Entscheidung des Präsidenten des Sąd Okręgowy w K. (Regionalgericht K., Polen), mit der die Versetzung von W.Ż. von einer Abteilung in eine andere Abteilung dieses Gerichts angeordnet worden war, für erledigt erklärt hat (im Folgenden: streitige Entschließung). Gegen die streitige Entschl...

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