Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschleunigtes Verfahren
Beteiligte
Tenor
Dem Antrag des Amtsgerichts Stuttgart (Deutschland), die Rechtssache C-296/10 dem beschleunigten Verfahren nach Art. 104a Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen, wird stattgegeben.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Amtsgericht Stuttgart (Deutschland) mit Entscheidung vom 31. Mai 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Juni 2010, in dem Verfahren
Bianca Purrucker
gegen
Guillermo Vallés Pérez
erlässt
DER PRÄSIDENT DES GERICHTSHOFS
auf Vorschlag des Berichterstatters A. Rosas,
nach Anhörung des Generalanwalts N. Jääskinen
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. L 338, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen einer Familiensache, die von Frau Purrucker beim Amtsgericht Stuttgart (Familiengericht) anhängig gemacht wurde und auf den Erlass von Maßnahmen in Bezug auf das Sorgerecht für Merlín und Samira, die minderjährigen Kinder der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens und von Herrn Vallés Pérez, abzielt.
Rz. 3
Der Rechtsstreit ist Teil verschiedener laufender Verfahren zwischen Frau Purrucker und Herrn Vallés Pérez, die in dem heute ergangenen Urteil Purrucker (C-256/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) eingehender beschrieben werden. Das Ausgangsverfahren wird in den Randnrn. 41 bis 43 dieses Urteils behandelt.
Rz. 4
Wie aus der Vorlageentscheidung und dem Urteil Purrucker hervorgeht, sind die beiden Zwillingskinder, die mittlerweile vier Jahre alt sind, seit Februar 2007 voneinander getrennt. Das eine Kind befindet sich bei seinem Vater in Spanien. Das andere Kind lebt bei seiner Mutter in Deutschland. Jeder Elternteil hat bei einem Gericht des Mitgliedstaats, in dem er wohnt, beantragt, ihm das Sorgerecht für beide Kinder zu übertragen. Im Urteil Purrucker wird auf eine Frage des Bundesgerichtshofs (Deutschland) nach der Anerkennung und Vollstreckung einstweiliger Maßnahmen hinsichtlich des Sorgerechts geantwortet. Dagegen wird in diesem Urteil weder auf die Auslegung von Art. 19 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2201/2003 noch auf den Begriff des zuerst angerufenen Gerichts im Sinne dieser Bestimmung eingegangen, die Gegenstand des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens sind.
Rz. 5
Das Amtsgericht Stuttgart hat in der Vorlageentscheidung beantragt, das Ersuchen dem beschleunigten Verfahren nach Art. 104b der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen. Mit Schreiben vom 1. Juli 2010 hat es klargestellt, dass sich sein Antrag nicht auf die Anwendung von Art. 104b, sondern von Art. 104a der Verfahrensordnung bezieht.
Rz. 6
Nach der letztgenannten Bestimmung kann der Präsident des Gerichtshofs auf Antrag des nationalen Gerichts und auf Vorschlag des Berichterstatters nach Anhörung des Generalanwalts ausnahmsweise beschließen, ein Vorabentscheidungsersuchen einem beschleunigten Verfahren unter Abweichung von den Bestimmungen der Verfahrensordnung zu unterwerfen, wenn sich aus den angeführten Umständen die außerordentliche Dringlichkeit der Entscheidung über die zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage ergibt.
Rz. 7
Zur Stützung seines Antrags, das vorliegende Ersuchen einem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, führt das Amtsgericht Stuttgart aus, die Dringlichkeit einer Vorabentscheidung ergebe sich daraus, dass die streitige Frage der Zuständigkeit der beiden in verschiedenen Mitgliedstaaten mit derselben Sache befassten Gerichte trotz der Verfahrensdauer bislang einer Förderung der Prüfung der eigentlichen Sachfrage entgegengestanden habe und eine „pragmatische” Lösung über Art. 15 der Verordnung Nr. 2201/2003 nicht möglich gewesen sei. Die ungeklärten verfahrensrechtlichen Verhältnisse beeinflussten das Verhalten der Prozessparteien in einer für die familiären Beziehungen der Kinder als Geschwister nachteiligen Weise. Es sei zu befürchten, dass eine Fortdauer der bestehenden Situation die persönlichen Verhältnisse der Geschwister weiter verfestigen würde. Die Kinder hätten seit ihrer Trennung im Februar 2007 keinen persönlichen Kontakt mehr zum anderen Geschwister und anderen Elternteil.
Rz. 8
Zudem würden die Betreuung und Erziehung des Kindes Merlín durch die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens in Deutschland, soweit es hierfür auf die Rechtsstellung des Kindes ankomme (u. a. Anmeldung in vorschulischen oder schulischen Einrichtungen oder ärztliche Betreuung), zurzeit durch die Zweifel beeinträchtigt, die hinsichtlich der Geltung und Anerkennung der vom Gericht in San Lorenzo de El Escorial (Spanien) am 8. November 2007 getroffenen einstweiligen ...