Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Bereich der sozialen Sicherheit. Gesetzliche Einkommensgarantie für ältere Personen. Europa-Mittelmeer-Abkommen EG-Marokko Art. 65
Normenkette
EuGH-VerfO Art. 104
Beteiligte
Office national des pensions (ONP) |
Tenor
Art. 65 Abs. 1 Unterabs. 1 des am 26. Februar 1996 in Brüssel unterzeichneten und durch den Beschluss 2000/204/EG, EGKS des Rates und der Kommission vom 24. Januar 2000 im Namen der Europäischen Gemeinschaften genehmigten Europa-Mittelmeer-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits ist dahin auszulegen, dass es dem Aufnahmemitgliedstaat verwehrt ist, einer marokkanischen Staatsangehörigen, die das 65. Lebensjahr vollendet und in diesem Staat ihren rechtmäßigen Wohnsitz hat, die gesetzliche Einkommensgarantie für ältere Personen zu versagen, wenn diese Person
- entweder aufgrund der Tatsache, dass sie selbst eine Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis in dem betreffenden Mitgliedstaat ausgeübt hat,
- oder in ihrer Eigenschaft als Familienangehörige eines Arbeitnehmers marokkanischer Staatsangehörigkeit, der in diesem Mitgliedstaat beschäftigt ist oder war,
in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fällt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tribunal du Travail Verviers (Belgien) mit Entscheidung vom 13. Juni 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Juni 2006, in dem Verfahren
Mamate El Youssfi
gegen
Office national des pensions (ONP)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten R. Schintgen (Berichterstatter) sowie der Richter A. Tizzano und A. Borg Barthet,
Generalanwalt: M. Poiares Maduro,
Kanzler: R. Grass,
gemäß Art. 104 § 3 Abs. 1 seiner Verfahrensordnung, wonach er durch mit Gründen versehenen Beschluss entscheiden kann,
nach Anhörung des Generalanwalts
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 41 Abs. 1 des am 27. April 1976 in Rabat unterzeichneten und durch Verordnung (EWG) Nr. 2211/78 des Rates vom 26. September 1978 im Namen der Gemeinschaft genehmigten Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko (ABl. L 264, S. 1, im Folgenden: Kooperationsabkommen), Art. 65 Abs. 1 Unterabs. 1 des am 26. Februar 1996 in Brüssel unterzeichneten und durch den Beschluss 2000/204/EG, EGKS des Rates und der Kommission vom 24. Januar 2000 im Namen der Europäischen Gemeinschaften genehmigten Europa-Mittelmeer-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits (ABl. L 70, S.1, im Folgenden: Assoziierungsabkommen), Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 166, S.1) in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 859/2003 des Rates vom 14. Mai 2003 zur Ausdehnung der Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 auf Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Bestimmungen fallen (ABl. L 124, S. 1), sowie Art. 14 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) und Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK (im Folgenden: Zusatzprotokoll).
2 Dieses Vorabentscheidungsersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau El Youssfi und dem belgischen Office national des pensions (im Folgenden: ONP) über dessen Weigerung, Frau El Youssfi die in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehene gesetzliche Einkommensgarantie für ältere Personen zu gewähren.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Das Kooperationsabkommen
3 Art. 41 Abs. 1 des Kooperationsabkommens ist Bestandteil des Titels III dieses Abkommens über die Zusammenarbeit im Bereich der Arbeitskräfte und lautet:
„Vorbehaltlich der folgenden Absätze wird den Arbeitnehmern marokkanischer Staatsangehörigkeit und den mit ihnen zusammenlebenden Familienangehörigen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit eine Behandlung gewährt, die keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung gegenüber den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, in denen sie beschäftigt sind, bewirkt.”
4 Art. 41 Abs. 2 bis 4 enthält Regelungen über die Zusammenrechnung der in den einzelnen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs-, Beschäftigungs- und Aufenthaltszeiten, die Gewährung der Familienzulagen für ihre innerhalb der Gemeinschaft wohnenden Familienangehörigen und die Möglichkeit, Alters- und Hinterbliebenenrenten und Renten bei Arbeitsunfall, Berufskrankheit sowie Erwerbsunfähigkeit nach Marokko zu transferieren.
Das Assoziierungsabkommen
5 Art. 65 Abs. 1 des As...