Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Beschleunigtes Verfahren. Fehlende praktische Wirksamkeit. Verknüpfung mit einem nationalen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
Beteiligte
Ministero delle Infrastrutture e dei Trasporti |
Capitaneria di Porto di Palermo |
Capitaneria di Porto di Porto Empedocle |
Tenor
Die Anträge des Tribunale amministrativo regionale per la Sicilia (Regionales Verwaltungsgericht Sizilien, Italien), die verbundenen Rechtssachen C-14/21 und C-15/21 dem beschleunigten Verfahren nach Art. 105 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen, werden zurückgewiesen.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per la Sicilia (Regionales Verwaltungsgericht Sizilien, Italien) mit Entscheidungen vom 23. Dezember 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Januar 2021, in den Verfahren
Sea Watch e. V.
gegen
Ministero delle Infrastrutture e dei Trasporti (C-14/21 und C-15/21),
Capitaneria di Porto di Palermo (C-14/21),
Capitaneria di Porto di Porto Empedocle (C-15/21),
erlässt
Der Präsident des Gerichtshofs
nach Anhörung des Berichterstatters J. Passer und des Generalanwalts A. Rantos
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Richtlinie 2009/16/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über die Hafenstaatkontrolle (ABl. 2009, L 131, S. 57) und des am 1. November 1974 in London geschlossenen Internationalen Übereinkommens zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (Recueil des traités des Nations unies, Bd. 1185, Nr. 18961, S. 3).
Rz. 2
Sie ergehen im Rahmen von zwei Rechtsstreitigkeiten, zum einen zwischen dem Sea Watch e. V. und dem Ministero delle Infrastrutture e dei Trasporti (Ministerium für Infrastruktur und Verkehr, Italien) sowie der Capitaneria di Porto di Palermo (Hafenbehörde Palermo, Italien) und zum anderen zwischen Sea Watch und diesem Ministerium sowie der Capitaneria di Porto di Porto Empedocle (Hafenbehörde Porto Empedocle, Italien), über zwei Anordnungen der jeweiligen Hafenbehörden zum Festhalten der Schiffe mit der Bezeichnung Sea Watch 4 bzw. Sea Watch 3.
Die Ausgangsrechtsstreitigkeiten
Rz. 3
Sea Watch ist eine humanitäre Organisation ohne Gewinnerzielungsabsicht mit Sitz in Berlin (Deutschland). Gemäß ihrer Satzung besteht ihr Zweck insbesondere in der Rettung von Personen aus Seenot und gefährlichen Situationen sowie im Unterhalt und Betrieb von Schiffen, Booten sowie Fluggeräten, um diesen Personen zu Hilfe zu kommen. Entsprechend diesem Zweck führt sie in der Praxis die Suche und die Rettung von Personen im Mittelmeer mit Schiffen durch, die in ihrem Eigentum stehen und von ihr betrieben werden. Zu diesen Schiffen gehören u. a. zwei Schiffe mit der Bezeichnung Sea Watch 3 bzw. Sea Watch 4, die im deutschen nationalen Register eingetragen sind, unter deutscher Flagge fahren und jeweils von einer Klassifizierungs- und Zertifizierungsstelle in Deutschland als „general cargo/multipurpose” zertifiziert wurden.
Rz. 4
Im Laufe des Sommers 2020 legten Sea Watch 3 und Sea Watch 4 abwechselnd vom Hafen von Burriana (Spanien) ab und retteten mehrere Hundert Personen, die sich im Mittelmeer in internationalen Gewässern in Not befanden. Die jeweiligen Kapitäne dieser Schiffe wurden sodann vom Italian Maritime Rescue Coordination Centre (Italienisches Zentrum zur Koordinierung von Seenotrettungen) darüber informiert, dass das Ministero degli Interni (Innenministerium, Italien) die Ausschiffung sowie den Umstieg der betroffenen Personen auf im Hafen von Palermo (Italien), für die Sea Watch 4, sowie im Hafen von Porto Empedocle (Italien), für die Sea Watch 3, liegende Schiffe gestattet habe, und dass sie daher angewiesen seien, ihre Schiffe in diese beiden Häfen zu steuern, um diese Vorgänge durchzuführen.
Rz. 5
Nachdem diese Vorgänge erfolgt waren, ordnete der Ministro della Sanità (Gesundheitsminister, Italien) an, dass diese beiden Schiffe in der Nähe dieser Häfen vor Anker bleiben müssten, um erstens die Besatzung zur Verhinderung der Ausbreitung der Krankheit Covid-19 unter Quarantäne zu stellen und zweitens die Reinigung, Desinfektion und Erteilung einer Gesundheitsbescheinigung vorzunehmen.
Rz. 6
Nach den Reinigungs- und Desinfektionsprozeduren führten die Hafenbehörden von Palermo und Porto Empedocle Kontrollen an Bord durch und ordneten sodann das Festhalten der Sea Watch 4 sowie der Sea Watch 3 mit der Begründung an, dass sie eine Reihe von technischen und operativen Mängeln festgestellt hätten, von denen einige als „schwerwiegend” einzustufen seien und als solche das Festhalten rechtfertigten.
Rz. 7
Seitdem wurden einige dieser Mängel von Sea Watch behoben. Sea Watch ist jedoch der Ansicht, dass die übrigen Mängel (im Folgenden: in Rede stehende Mängel) nicht erwiesen seien. Diese Mängel hängen im Wesentlichen damit zusammen, dass die Sea Watch 3 und die Sea Wa...