Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Umwelt. System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten. Sanktion wegen Emissionsüberschreitung. Fehlen eines Befreiungsgrundes, wenn über die nicht abgegebenen Zertifikate tatsächlich verfügt wurde, abgesehen vom Fall höherer Gewalt. Unmöglichkeit der Anpassung des Betrags der Sanktion. Verhältnismäßigkeit. Grundsatz des Vertrauensschutzes
Normenkette
Richtlinie 2003/87/EG; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 20, 41, 47, 49 Abs. 3
Beteiligte
Tenor
1. Die Art. 20 und 47 sowie Art. 49 Abs. 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie es nicht verbieten, dass die in Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates in der durch die Richtlinie 2009/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 geänderten Fassung vorgesehene pauschale Sanktion dem nationalen Gericht keine Möglichkeit einer Anpassung eröffnet.
2. Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass er nicht auf den Fall anzuwenden ist, in dem zu bestimmen ist, ob die Mitgliedstaaten verpflichtet und nicht lediglich befugt sind, Mechanismen zur Mahnung, Aufforderung und vorzeitigen Abgabe einzurichten, durch die gutgläubige Betreiber umfassend über ihre Abgabepflicht informiert sind und so der Gefahr einer Sanktion nach Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2003/87 in der durch die Richtlinie 2009/29 geänderten Fassung entgehen können.
3. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes ist dahin auszulegen, dass er der Verhängung der Sanktion des Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2003/87 in der durch die Richtlinie 2009/29 geänderten Fassung nicht entgegensteht, wenn die zuständigen Behörden den Betreiber nicht vor Ablauf der Abgabefrist auf den Fristablauf hingewiesen haben, obwohl sie dies, ohne dazu verpflichtet zu sein, im vorangegangenen Jahr getan hatten.
4. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob der Begriff „Fall höherer Gewalt” im Sinne von Rn. 31 des Urteils vom 17. Oktober 2013, Billerud Karlsborg und Billerud Skärblacka (C-203/12, EU:C:2013:664), einen Sachverhalt wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden erfasst.
Tatbestand
In der Rechtssache
wegen eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV der Cour administrative (Verwaltungsgerichtshof, Luxemburg) gemäß dem am 12. Februar 2019 beim Gerichtshof eingegangenen Beschluss vom 7. Februar 2019, in dem Verfahren
Luxaviation SA
gegen
Minister für Umwelt
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Safjan, des Präsidenten der Ersten Kammer J.-C. Bonichot (Berichterstatter) und der Richterin C. Toader,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen:
- der Luxaviation SA, vertreten durch N. Bannasch und M. Zins, Rechtsanwälte,
- der luxemburgischen Regierung, vertreten durch D. Holderer und T. Uri als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und J. Langer als Bevollmächtigte,
- des Europäischen Parlaments, vertreten durch L. Darie und C. Ionescu Dima sowie durch A. Tamás als Bevollmächtigte,
- des Rates der Europäischen Union, vertreten durch K. Michoel und A. Westerhof Löfflerová als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J.-F. Brakeland und A. C. Becker als Bevollmächtigte,
aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates (ABl. 2003, L 275, S. 32) in der durch die Richtlinie 2009/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 (ABl. 2009, L 140, S. 63) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2003/87).
Rz. 2
Dieses Ersuchen erging im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Luxaviation SA und dem Ministre de l'Environnement (Minister für Umwelt, Luxemburg) im Zusammenhang mit der Befolgung der Luxaviation im Bereich der Abgabe von CO2-Emissionszertifikaten für das Jahr 2015 obliegenden Verpflichtungen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2003/87
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 5 bis 7 der Richtlinie 2003/87 heißt es:
„(5) Die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten sind übereingekommen, ihre Verpflichtungen zur Verringerung der anthropogenen Treibhausgasemissionen im Rahmen des Kyoto-Protokolls … gemeinsam zu erfüllen. Diese Ric...