Obwohl die verbindlichen Mindestsätze aus der bis 2020 gültigen Fassung der HOAI gegen EU-Recht verstoßen, können diese bei Altverträgen anwendbar sein, so der EuGH. Dadurch geschädigte Parteien können aber unter Umständen Schadensersatz vom Staat verlangen.
Der EuGH hat am 18.1.2022 über die Frage entschieden, ob die bis zum Inkrafttreten der angepassten HOAI am 1.1.2021 enthaltenen verbindlichen Mindestsätze bei Altverträgen trotz des EuGH-Urteils v. 4.7.2019, C-377/17, weiterhin anzuwenden sind oder nicht. Das Gericht hatte die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze in der HOAI damals für europarechtswidrig erklärt.
In seinem aktuellen Urteil kommt der EuGH zu dem Ergebnis: Ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig ist, ist "nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet, diese deutsche Regelung unangewendet zu lassen". Vielmehr können deutsche Gerichte die Honorarordnung bei Streitigkeiten zwischen Privaten auch weiterhin anwenden, da EU-Vorgaben keine unmittelbaren Wirkungen für Privatpersonen haben, sondern eine Anweisung an einen Staat sind.
Die Parteien können aber in bestimmten Fällen auf Schadensersatz vom Staat hoffen, so der EuGH. Jedes EU-Land müsse sicherstellen, dass Einzelnen ein Schaden ersetzt werde, der wegen Verstößen gegen europäisches Recht entstanden sei.
Hintergrund ist ein Verfahren am BGH, der nun abschließend über den Fall urteilen muss.
HOAI-Streit: Ball liegt wieder beim BGH
Nach Auffassung des EuGH verstoßen die verbindlichen Preisrahmen des § 7 Abs. 1 HOAI gegen die Dienstleistungsrichtlinie und die Niederlassungsfreiheit der Mitglieder der EU. So sei es für Anbieter aus den anderen EU-Staaten schwierig, sich in Deutschland niederzulassen, wenn sie nicht über den Preis konkurrieren könnten. Die übrigen Paragrafen der HOAI sind nicht von der Entscheidung betroffen. Geklagt gegen die strittigen Honorarregeln hatte die EU-Kommission.
Der BGH prüfte dann anhand eines Verfahrens die Auswirkungen des EuGH-Urteils von 2019 auf bestehende Planungsverträge, in denen ein Honorar unterhalb des Mindestsatzes vereinbart wurde – und der Planer nachträglich den Mindestsatz verlangt hatte. Deutsche Gerichte waren sich nicht einig, ob die HOAI weiter anzuwenden sei.
Der BGH, der sich im Rahmen einer Revision mit dem Verfahren beschäftigte, tendierte zu der Meinung, dass die verbindlichen Mindestsätze trotz des EuGH-Urteils bis zur Neuregelung anzuwenden seien. Statt einer Entscheidung setze der VII. Zivilsenat sein Verfahren aber aus (BGH, Beschluss v. 14.5.2020, VII ZR 174/19) und legte dem EuGH Fragen zu den Folgen seines Urteils für laufende Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen in einem sog. Vorabentscheidungsersuchen vor. Das führte schließlich zum aktuellen EuGH-Urteil.
Erstinstanzen uneins über HOAI-Anwendung
Zwischen deutschen Gerichten war zuvor ein Streit darüber entbrannt, ob die HOAI bis zur modifizierten Verordnung weiter anzuwenden ist. Befürwortet wurde dies z. B. vom OLG Hamm (Urteil v. 23.7.2019, I-21 U 24/18), ablehnend dagegen z. B. OLG Celle (Urteil v. 14.8.2019, 14 U 198/18) entschieden. Der BGH sollte anhand der 2 Verfahren prüfen, welche Auswirkungen das EuGH-Urteil auf bestehende Planungsverträge hat, in denen zunächst ein Honorar unterhalb des Mindestsatzes vereinbart wurde – und der Planer nachträglich den Mindestsatz verlangt hat (sog. Aufstockungsklage).
Im 1. Fall hatte ein Ingenieur für ein Bauvorhaben zunächst ein Pauschalhonorar von rund 55.000 EUR vertraglich vereinbart. Auf Grundlage der HOAI-Mindestsätze forderte er in der Schlussrechnung einen noch offenen Betrag von rund 100.000 EUR und klagte. Das OLG Hamm hat dann in 2. Instanz die Beklagte zur Zahlung von rund 96.700 EUR verurteilt – diese verfolgt ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter. Die OLG-Richter kamen zu dem Schluss, dass der vereinbarte Pauschalpreis unwirksam sei, da er gegen den HOAI-Mindestpreischarakter verstoße. Die Bestimmungen seien im Streitfall anwendbar, daran ändere die Entscheidung des EuGH nichts. Die Beklagte ging schließlich in Revision vor dem BGH.
Im Fall des OLG Celle (Niedersachsen) hatte ein gemeinnütziges Unternehmen für die Planung und den Bau einer Biogasanlage zunächst rund 89.000 EUR verlangt, machte jedoch später eine noch offene Honorarforderung von rund 440.000 EUR mit der Begründung geltend, die geschlossenen Verträge und deren ursprüngliche Abrechnung hätten in unzulässiger Weise die Mindestsätze der HOAI (Fassung 2009) unterschritten. Das sahen die Richter in Celle anders: Die Nachforderung in der geltend gemachten Höhe sei treuewidrig gemäß § 242 BGB – gerade weil mit dem Urteil des EuGH die Verbindlichkeit des HOAI-Preisrechts hinfällig geworden sei. Die Gerichte seien auch in laufenden Verfahren verpflichtet, ab sofort die für europarechtswidrig erklärten Regelungen nicht mehr anzuwenden. Die Klägerin verfolgt ihren Zahlungsantrag in Revision weiter.
EuGH, Urteil v. 18.1.2022, C-261/20