Der BGH muss im Rahmen einer Vergütungsklage abschließend darüber entscheiden, ob die Mindestsätze der HOAI in der Fassung aus dem Jahr 2013 in einem laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen weiterhin als verbindliches Preisrecht Anwendung finden, nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der Zwischenzeit die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze in der HOAI für europarechtswidrig erklärt hat (Urteil v. 4.7.2019, C-377/17).
HOAI-Streit: Was gilt bei Altverfahren
In dem Fall (BGH, VII ZR 174/19) geht es um einen Ingenieur, der die Zahlung der restlichen Vergütung aufgrund eines im Jahr 2016 geschlossenen Ingenieurvertrags verlangt. Die Parteien hatten ein Pauschalhonorar i. H. v. rund 55.000 EUR vereinbart. Der Ingenieur kündigte den Vertrag und rechnete im Juli 2017 die erbrachten Leistungen nach HOAI 2013 ab. Mit der Klage macht er eine offene Restforderung i. H. v. knapp 103.000 EUR geltend.
Der BGH, der sich im Rahmen einer Revision mit dem Verfahren beschäftigte, tendierte zu der Meinung, dass die verbindlichen Mindestsätze trotz des EuGH-Urteils von 2019 bis zur Neuregelung anzuwenden seien. Statt einer Entscheidung setzte der VII. Zivilsenat sein Verfahren aber dann aus (Beschluss v. 14.5.2020; VII ZR 174/19) und legte dem EuGH in einem Vorabentscheidungsersuchen Fragen zu den Folgen seines Urteils für laufende Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen in einem sog. Vorabentscheidungsersuchen vor. Der EuGH hat mit Urteil vom 18.1.2022 (Rechtssache C-261/20) über diese Fragen entschieden.
Der BGH wird die mündliche Verhandlung im HOAI-Streit am 2. Juni fortsetzen.
EuGH gibt Richtung vor
In seinem Urteil von Januar 2022 kommt der EuGH zu dem Ergebnis: Ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig ist, ist "nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet, diese deutsche Regelung unangewendet zu lassen". Vielmehr können deutsche Gerichte die Honorarordnung bei Streitigkeiten zwischen Privaten auch weiterhin anwenden, da EU-Vorgaben keine unmittelbaren Wirkungen für Privatpersonen haben, sondern Anweisungen an einen Staat sind. Die Parteien können aber in bestimmten Fällen auf Schadensersatz vom Staat hoffen, so der EuGH. Jedes EU-Land müsse sicherstellen, dass Einzelnen ein Schaden ersetzt werde, der wegen Verstößen gegen europäisches Recht entstanden sei.
Nach Auffassung des EuGH verstoßen die verbindlichen Preisrahmen des § 7 Abs. 1 HOAI gegen die Dienstleistungsrichtlinie und die Niederlassungsfreiheit der Mitglieder der Europäischen Union (EU). So sei es für Anbieter aus den anderen EU-Staaten schwierig, sich in Deutschland niederzulassen, wenn sie nicht über den Preis konkurrieren könnten. Die übrigen Paragrafen der HOAI sind von der Entscheidung nicht betroffen. Geklagt gegen die strittigen Honorarregeln hatte die EU-Kommission.
Vorinstanzen uneins über HOAI-Anwendung
Zwischen den deutschen Gerichten war zuvor ein Streit darüber entbrannt, ob die HOAI bis zur modifizierten Verordnung weiter anzuwenden ist – das befürwortete das OLG Hamm (Urteil v. 23.7.2019, I-21 U 24/18) – oder nicht anzuwenden ist, wie vom OLG Celle (Urteil v. 14.8.2019, 14 U 198/18) vertreten. Der BGH sollte anhand der 2 Verfahren prüfen, welche Auswirkungen das EuGH-Urteil auf bestehende Planungsverträge hat, in denen zunächst ein Honorar unterhalb des Mindestsatzes vereinbart wurde – und der Planer nachträglich den Mindestsatz verlangt hat (sog. Aufstockungsklage).
Im 1. Fall hatte ein Ingenieur für ein Bauvorhaben zunächst ein Pauschalhonorar von rund 55.000 EUR vertraglich vereinbart. Auf Grundlage der HOAI-Mindestsätze forderte er in der Schlussrechnung einen noch offenen Betrag von rund 100.000 EUR und klagte. Das OLG Hamm hat dann in 2. Instanz die Beklagte zur Zahlung von rund 96.700 EUR verurteilt – diese verfolgt ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter. Die OLG-Richter kamen zu dem Schluss, dass der vereinbarte Pauschalpreis unwirksam sei, da er gegen den HOAI-Mindestpreischarakter verstoße. Die Bestimmungen seien im Streitfall anwendbar, daran ändere die Entscheidung des EuGH nichts. Die Beklagte ging schließlich in Revision vor den BGH.
Im Fall Celle (Niedersachsen) hatte ein gemeinnütziges Unternehmen für die Planung und den Bau einer Biogasanlage zunächst rund 89.000 EUR verlangt, machte jedoch später eine noch offene Honorarforderung von rund 440.000 EUR mit der Begründung geltend, die geschlossenen Verträge und deren ursprüngliche Abrechnung hätten in unzulässiger Weise die Mindestsätze der HOAI (Fassung 2009) unterschritten. Das sahen die Richter in Celle anders: Die Nachforderung in der geltend gemachten Höhe sei treuewidrig gemäß § 242 BGB, weil mit dem Urteil des EuGH die Verbindlichkeit des HOAI-Preisrechts hinfällig geworden sei. Die Gerichte seien auch in laufenden Verfahren verpflichtet, ab sofort die für europarechtswidrig erklärten Regelungen nicht mehr anzuwenden. Die Klägerin verfolgt ihren Zahlungsantrag in Revision weiter.