Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Dienstleistungen im Binnenmarkt. Vergnügungsschifffahrt. Fensterbordelle. Anwendungsbereich. Ausschluss. Verkehrsdienstleistungen. Niederlassungsfreiheit. Genehmigungsregelung. Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung. Verhältnismäßigkeit. Anforderung an die Sprachkenntnisse. Geltungsdauer der Genehmigung. Begrenzung der Zahl der verfügbaren Genehmigungen. Zwingender Grund des Allgemeininteresses
Normenkette
Richtlinie 2006/123/EG Art. 2 Abs. 2 Buchst. d, Art. 10 Abs. 2 Buchst. c, Art. 11 Abs. 1 Buchst. b
Beteiligte
Burgemeester van Amsterdam |
Tenor
1. Art. 2 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt ist dahin auszulegen, dass – vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfung – eine Tätigkeit wie die, die Gegenstand des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Genehmigungsantrags ist und die darin besteht, für Fahrgäste im Rahmen einer Veranstaltung oder Feier entgeltliche, geführte Bootsrundfahrten durch eine Stadt durchzuführen, keine vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommene „Verkehrsdienstleistung” im Sinne dieser Bestimmung darstellt.
2. Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/123 ist dahin auszulegen, dass es ihm zuwiderläuft, dass die zuständigen nationalen Behörden Genehmigungen für die Ausübung einer Tätigkeit wie der im Ausgangsverfahren fraglichen unbefristet erteilen, obwohl die Zahl der von diesen Behörden hierfür erteilten Genehmigungen durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses begrenzt ist.
3. Art. 10 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2006/123 ist dahin auszulegen, dass er einer Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren C-341/14 fraglichen, nach der die Genehmigung für die Ausübung der dort fraglichen Tätigkeit, nämlich den Betrieb eines Fensterbordells durch die stundenweise Vermietung von Zimmern an Prostituierte, nur dann erteilt wird, wenn der Erbringer dieser Dienstleistungen in der Lage ist, mit den Dienstleistungsempfängern – im vorliegenden Fall den Prostituierten – in einer für diese verständlichen Sprache zu kommunizieren, nicht entgegensteht, sofern diese Bedingung zur Erreichung des verfolgten Ziels des Allgemeininteresses, nämlich der Vorbeugung von Straftaten im Zusammenhang mit der Prostitution, geeignet ist und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. Letzteres ist durch das vorlegende Gericht zu prüfen.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Raad van State (Staatsrat, Niederlande) mit Beschlüssen vom 9. Juli 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Juli 2014, in den Verfahren
R. L. Trijber, handelnd unter der Firma Amstelboats (C-340/14),
gegen
College van burgemeester en wethouders van Amsterdam
und
J. Harmsen (C-341/14)
gegen
Burgemeester van Amsterdam
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešiˇ, des Richters A. Ó Caoimh (Berichterstatter), der Richterin C. Toader sowie der Richter E. Jarašiūnas und C. G. Fernlund,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von R. L. Trijber, handelnd unter der Firma Amstelboats, vertreten durch E. Steyger, advocaat,
- von J. Harmsen, vertreten durch D. op de Hoek, advocaat,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman, M. Gijzen und J. Langer als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch E. Montaguti, H. Tserepa-Lacombe und F. Wilman als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. Juli 2015
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 2 Abs. 2 Buchst. d, Art. 10 Abs. 2 Buchst. c und Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. L 376, S. 36).
Rz. 2
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen Herrn Trijber und dem College van burgemeester en wethouders van Amsterdam (Kollegium von Bürgermeister und Beigeordneten von Amsterdam, Niederlande; im Folgenden: Kollegium) sowie zwischen Herrn Harmsen und dem Burgemeester van Amsterdam (Bürgermeister von Amsterdam, im Folgenden: Bürgermeister) wegen der Ablehnung ihrer Anträge auf Erteilung einer Betriebsgenehmigung.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Im zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/123 heißt es:
„Ein wettbewerbsfähiger Dienstleistungsmarkt ist für die Förderung des Wirtschaftswachstums und die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Europäischen Union wesentlich. … Ein freier Markt, der die Mitgliedstaaten zwingt, Beschränkungen im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr abzubauen, bei gleichzeitiger größerer Transparenz und besserer Information der Verbraucher, würde für die Verbrauch...