Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr. Begriff ‚Geschäftsverkehr’. Entschädigung für die dem Gläubiger bei einem Zahlungsverzug des Schuldners entstandenen Beitreibungskosten. Pauschaler Mindestbetrag von 40 Euro. Mehrere verspätete Zahlungen, die als Entgelt für Lieferungen von Waren oder Erbringungen von Dienstleistungen auf der Grundlage ein und desselben Vertrags zu leisten sind

 

Normenkette

Richtlinie 2011/7/EU Art. 2 Nr. 1, Art. 6

 

Beteiligte

X

X sp. z o.o. sp.k

Z

 

Tenor

1. Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr

ist wie folgt auszulegen:

Der darin enthaltene Begriff „Geschäftsverkehr” erfasst jede einzelne sukzessive Lieferung von Waren oder Erbringung von Dienstleistungen, die in Erfüllung ein und desselben Vertrags erfolgt.

2. Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 der Richtlinie 2011/7

ist wie folgt auszulegen:

Sieht ein und derselbe Vertrag sukzessive Lieferungen von Waren oder Erbringungen von Dienstleistungen vor, die jeweils innerhalb einer bestimmten Frist zu bezahlen sind, so wird der pauschale Mindestbetrag von 40 Euro als Entschädigung für Beitreibungskosten dem Gläubiger für jeden einzelnen Zahlungsverzug geschuldet.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Rejonowy dla m.st. Warszawy w Warszawie (Rayongericht Warschau, Polen) mit Entscheidung vom 21. Juni 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Juli 2021, in dem Verfahren

X sp. z o.o. sp.k.

gegen

Z

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Richters N. Piçarra (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten sowie der Richter N. Jääskinen und M. Gavalec,

Generalanwalt: A. M. Collins,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Z, vertreten durch A. Moroziewicz, Adwokat,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Brauhoff und G. Gattinara als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Nr. 1 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl. 2011, L 48, S. 1).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der X sp. z o.o. sp.k. und Z wegen eines Antrags auf pauschale Entschädigung für Beitreibungskosten, die wegen wiederholten Zahlungsverzugs im Rahmen ein und desselben Vertrags entstanden sind.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 3, 17, 19 und 22 der Richtlinie 2011/7 heißt es:

„(3) Viele Zahlungen im Geschäftsverkehr zwischen Wirtschaftsteilnehmern einerseits und zwischen Wirtschaftsteilnehmern und öffentlichen Stellen andererseits werden später als zum vertraglich vereinbarten oder in den allgemeinen Geschäftsbedingungen festgelegten Zeitpunkt getätigt. Trotz Lieferung der Waren oder Erbringung der Leistungen werden viele Rechnungen erst lange nach Ablauf der Zahlungsfrist beglichen. Ein derartiger Zahlungsverzug wirkt sich negativ auf die Liquidität aus und erschwert die Finanzbuchhaltung von Unternehmen. Es beeinträchtigt außerdem die Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit von Unternehmen, wenn der Gläubiger aufgrund eines Zahlungsverzugs Fremdfinanzierung in Anspruch nehmen muss. …

(17) Die Zahlung eines Schuldners sollte als verspätet in dem Sinne betrachtet werden, dass ein Anspruch auf Verzugszinsen entsteht, wenn der Gläubiger zum Zeitpunkt der Fälligkeit nicht über den geschuldeten Betrag verfügt, vorausgesetzt, er hat seine gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen erfüllt.

(19) Eine gerechte Entschädigung der Gläubiger für die aufgrund eines Zahlungsverzugs des Schuldners entstandenen Beitreibungskosten ist erforderlich, um von der Überschreitung der Zahlungsfristen abzuschrecken. In den Beitreibungskosten sollten zudem die aufgrund des Zahlungsverzugs entstandenen Verwaltungskosten und die internen Kosten enthalten sein; für diese Kosten sollte durch diese Richtlinie ein pauschaler Mindestbetrag vorgesehen werden, der mit Verzugszinsen kumuliert werden kann. Die Entschädigung in Form eines Pauschalbetrags sollte dazu dienen, die mit der Beitreibung verbundenen Verwaltungskosten und internen Kosten zu beschränken. …

(22) Diese Richtlinie sollte Raten- oder Abschlagszahlungen nicht ausschließen. Jedoch sollten sämtliche Raten oder Zahlungen nach den vereinbarten Bedingungen gezahlt werden und den in dieser Richtlinie festgelegten Bestimmungen für Zahlungsverzug unterliegen.”

Rz. 4

Art. 1 („Gegenstand und Anwendungsbereich”) Abs. 1 und 2 der Richtlinie lautet:

„(1) D...

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