Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Verbraucherschutz. Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. Verpflichtung, Vertragsklauseln klar und verständlich abzufassen. Unlautere Geschäftspraktiken zwischen Unternehmen und Verbrauchern. Anwendungsbereich. Irreführende Unterlassung. Sanktionen. Fondsgebundene (‚unit linked’) Lebensversicherungsverträge. Informationen über Art und Konzeption des Versicherungsprodukts sowie über die damit verbundenen Risiken. Irreführende Musterverträge. Haftendes Unternehmen. Rechtsfolgen
Normenkette
Richtlinie 93/13/EWG Art. 5; Richtlinie 2005/29/EG Art. 3, 7, 13
Beteiligte
Towarzystwo Ubezpieczeń Ż |
Towarzystwo Ubezpieczeń Ż S.A |
Tenor
1. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken)
ist dahin auszulegen, dass
es eine „unlautere Geschäftspraxis” im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann, wenn ein Versicherungsunternehmen einen Mustergruppenvertrag über fondsgebundene Lebensversicherungen so verfasst, dass es dem Verbraucher, der diesem Gruppenvertrag auf Angebot eines zweiten Unternehmens, das Versicherungsnehmer ist, beitritt, nicht möglich ist, die Art und die Konzeption des angebotenen Versicherungsprodukts und die damit verbundenen Risiken zu verstehen, und dass dieses Versicherungsunternehmen für diese unlautere Geschäftspraxis haften muss.
2. Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2005/29 in Verbindung mit Art. 13 dieser Richtlinie
ist dahin auszulegen, dass
er einer Auslegung des nationalen Rechts nicht entgegensteht, die einem Verbraucher, der einen Vertrag aufgrund einer unlauteren Geschäftspraxis eines Gewerbetreibenden geschlossen hat, das Recht verleiht, die Ungültigerklärung dieses Vertrags zu verlangen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Rejonowy dla Warszawy-Woli w Warszawie (Rayongericht Warschau-Wola, Polen) mit Entscheidung vom 1. Juni 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 23. März 2021, in dem Verfahren
K. D.
gegen
Towarzystwo Ubezpieczeń Ż S.A.
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin L. S. Rossi (Berichterstatterin) sowie der Richter J.-C. Bonichot und S. Rodin,
Generalanwalt: N. Emiliou,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Towarzystwo Ubezpieczeń Ż S.A., vertreten durch A. Ciechowicz-Jaworska und B. Řlażyński, Radcy prawni,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch S. Šindelková, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Santini, Avvocato dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch S. L. Kalėda und N. Ruiz García als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29) sowie von Art. 2 Buchst. d und Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. 2005, L 149, S. 22).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen K. D. und der Towarzystwo Ubezpieczeń Ż S.A. (im Folgenden: TUŻ) über die Erstattung der für einen Vertrag über fondsgebundene Gruppenlebensversicherungen (im Folgenden: Unit-linked-Gruppenvertrag) gezahlten Versicherungsprämien, dem K. D. beigetreten ist.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 93/13
Rz. 3
Art. 5 der Richtlinie 93/13 sieht vor:
„Sind alle dem Verbraucher in Verträgen unterbreiteten Klauseln oder einige dieser Klauseln schriftlich niedergelegt, so müssen sie stets klar und verständlich abgefasst sein. …”
Richtlinie 2002/83/EG
Rz. 4
Art. 36 der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen (ABl. 2002, L 345, S. 1), die zum 1. Januar 2016 durch die Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend d...