Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss des Vorsteuerabzugs, Verpflegungsleistungen, Unterbringungsleistungen, Ausschluss des Vorsteuerabzugs für repräsentative Aufwendungen, Stand-Still-Klausel, Ausdehnung von Vorsteuerausschlüssen nach EU-Beitritt
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 168 Buchst. a, Art. 176 Abs. 2; EWGRL 388/77 Art. 17 Abs. 2, 6
Beteiligte
Verfahrensgang
Naczelny Sąd Administracyjny (Polen) (Beschluss vom 23.10.2017; ABl. EU 2018, Nr. C 231/11) |
Tenor
Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass er
- nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die nach dem Beitritt des betreffenden Mitgliedstaats zur Union eine Erweiterung der Ausschlusstatbestände vom Recht auf Vorsteuerabzug vorsehen und dazu führen, dass ein Steuerpflichtiger, der Reiseleistungen erbringt, ab dem Inkrafttreten dieser Erweiterung vom Recht auf Vorsteuerabzug für den Erwerb von Beherbergungs- und Gastronomieleistungen ausgeschlossen ist, die er im Rahmen der Erbringung von Reiseleistungen an andere Steuerpflichtige weiterbelastet, und
- nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegensteht, die den Ausschluss vom Recht auf Vorsteuerabzug für den Erwerb von Beherbergungs- und Gastronomieleistungen vorsehen, der vor dem Beitritt des betreffenden Mitgliedstaats zur Union eingeführt und nach dem Beitritt gemäß Art. 176 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 beibehalten wurde und dazu führt, dass ein Steuerpflichtiger, der keine Reiseleistungen erbringt, vom Recht auf Vorsteuerabzug für den Erwerb von Beherbergungs- und Gastronomieleistungen ausgeschlossen ist, die er an andere Steuerpflichtige weiterbelastet.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen) mit Entscheidung vom 23. Oktober 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 28. März 2018, in dem Verfahren
Grupa Lotos S.A.
gegen
Minister Finansów
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Biltgen, des Richters J. Malenovský und der Richterin L. S. Rossi (Berichterstatterin),
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Grupa Lotos S.A., vertreten durch B. Wolniewicz, radca prawny,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Jokubauskaite und M. Owsiany-Hornung als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 168 Buchst. a und Art. 176 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Grupa Lotos S.A. mit Sitz in Polen, der Muttergesellschaft einer Unternehmensgruppe, die vor allem im Bereich der Kraft- und Schmierstoffe tätig ist, und dem Minister Finansów (Finanzminister, Polen) wegen einer Einzelfallauslegung, mit der der Finanzminister Grupa Lotos das Recht verweigert hat, die von ihr entrichtete Mehrwertsteuer auf den Erwerb von Beherbergungs- und Gastronomieleistungen abzuziehen, die sie weiterveräußert und somit an andere Mehrwertsteuerpflichtige weiterbelastet.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 17 Abs. 2 und 6 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 (ABl. 1995, L 102, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie) sah vor:
„(2) Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
a) die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden,
…
(6) Der Rat legt auf Vorschlag der Kommission vor Ablauf eines Zeitraums von vier Jahren nach dem Inkrafttreten dieser Richtlinie einstimmig fest, bei welchen Ausgaben die Mehrwertsteuer nicht abziehbar ist. Auf jeden Fall werden diejenigen Ausgaben vom Vorsteuerabzugsrecht ausgeschlossen, die keinen streng geschäftlichen Charakter haben, wie Luxusausgaben, Ausgaben für Vergnügungen und Repräsentationsaufwendungen.
Bis zum Inkrafttreten der vorstehend bezeichnet...