Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Öffentliche Aufträge. Teilnahme an einem Vergabeverfahren. Möglichkeit, sich auf die Kapazitäten anderer Unternehmen zu stützen, um notwendige Bedingungen zu erfüllen. Nichtzahlung eines nicht ausdrücklich vorgesehenen Beitrags. Ausschluss vom Vergabeverfahren ohne Möglichkeit einer Behebung dieses Mangels
Normenkette
Richtlinie 2004/18/EG
Beteiligte
Tenor
1. Die Art. 47 und 48 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge sind dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsnormen nicht entgegenstehen, die es einem Wirtschaftsteilnehmer erlauben, sich auf die Kapazitäten eines oder mehrerer Dritter zu stützen, um den Mindestanforderungen der Teilnahme an einem Ausschreibungsverfahren zu genügen, die er selbst nur teilweise erfüllt.
2. Der Grundsatz der Gleichbehandlung und das Transparenzgebot sind dahin auszulegen, dass sie dem Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers vom Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags wegen Nichterfüllung einer Verpflichtung entgegenstehen, die sich nicht ausdrücklich aus den Unterlagen dieses Verfahrens oder den anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften ergibt, sondern aus einer Auslegung dieser Rechtsvorschriften und dieser Unterlagen sowie der Schließung von Lücken in diesen Unterlagen durch die Behörden oder die nationalen Verwaltungsgerichte. Die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit sind unter diesen Umständen dahin auszulegen, dass sie es nicht verwehren, dem Wirtschaftsteilnehmer zu gestatten, seine Situation zu bereinigen und dieser Verpflichtung innerhalb einer vom Auftraggeber festgelegten Frist nachzukommen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di giustizia amministrativa per la Regione siciliana (Rat für Verwaltungsgerichtsbarkeit der Region Sizilien, Italien) mit Entscheidung vom 10. Dezember 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Januar 2015, in dem Verfahren
Pippo Pizzo
gegen
CRGT Srl,
Beteiligte:
Autorità Portuale di Messina,
Messina Sud Srl,
Francesco Todaro,
Myleco Sas,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev sowie der Richter S. Rodin (Berichterstatter) und E. Regan,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von C. Colelli, avvocato dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Cappelletti und A. Tokár als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. Januar 2016
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 47 und 48 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. 2004, L 134, S. 114) sowie der Rechtsgrundsätze der Union im Bereich des öffentlichen Auftragswesens.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Pippo Pizzo in seiner Eigenschaft als Inhaber der Firma Pizzo und Bevollmächtigter des vorübergehenden Unternehmenszusammenschlusses mit dem Unternehmen Onofaro Antonino (im Folgenden: Pizzo) einerseits und der CRGT Srl andererseits wegen des Ausschlusses eines Bewerbers von einem Verfahren zur Vergabe einer Dienstleistungskonzession für die Behandlung von Abfällen und Ladungsrückständen an Bord von Schiffen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 2 der Richtlinie 2004/18 bestimmt:
„Die öffentlichen Auftraggeber behandeln alle Wirtschaftsteilnehmer gleich und nichtdiskriminierend und gehen in transparenter Weise vor.”
Rz. 4
Art. 47 Abs. 2 dieser Richtlinie sieht vor:
„Ein Wirtschaftsteilnehmer kann sich gegebenenfalls für einen bestimmten Auftrag auf die Kapazitäten anderer Unternehmen ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmen bestehenden Verbindungen stützen. Er muss in diesem Falle dem öffentlichen Auftraggeber gegenüber nachweisen, dass ihm die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, indem er beispielsweise die diesbezüglichen Zusagen dieser Unternehmen vorlegt.”
Rz. 5
Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie lautet:
„Ein Wirtschaftsteilnehmer kann sich gegebenenfalls für einen bestimmten Auftrag auf die Kapazitäten anderer Unternehmen ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmen bestehenden Verbindungen stützen. Er muss in diesem Falle dem öffentlichen Auftraggeber gegenüber nachweisen, dass ihm für die Ausführung des Auftrags die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, indem er beispielsweise die Zusage dieser Unternehmen vorlegt...