Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmittel. Staatliche Beihilfen. Vorzugspreis für den Kauf eines erschlossenen Grundstücks. Ermittlung des Marktwerts. Förmliches Prüfverfahren. Verordnung (EG) Nr. 659/1999. Verpflichtung zu sorgfältiger und unvoreingenommener Prüfung. Umfang des Ermessens der Kommission. Kostenmethode. Umfang der gerichtlichen Nachprüfung
Beteiligte
Tenor
1. Das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 29. März 2007, Scott/Kommission (T-366/00), wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an das Gericht der Europäischen Union zurückverwiesen.
3. Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs, eingelegt am 14. Juni 2007,
Europäische Kommission, vertreten durch J. Flett als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
andere Verfahrensbeteiligte:
Scott SA mit Sitz in Saint-Cloud (Frankreich), Prozessbevollmächtigte: J. Lever, QC, R. Griffith und M. Papadakis, Solicitors, sowie P. Gardner und G. Peretz, Barristers, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin im ersten Rechtszug,
unterstützt durch
Département du Loiret, vertreten durch A. Carnelutti, avocat,
Streithelfer im Rechtsmittelverfahren,
Französische Republik, vertreten durch G. de Bergues, S. Seam und F. Million als Bevollmächtigte,
Streithelferin im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter E. Levits (Berichterstatter), J.-J. Kasel und M. Safjan sowie der Richterin M. Berger,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Dezember 2009,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. Februar 2010
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften die Aufhebung des Urteils des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 29. März 2007, Scott/Kommission (T-366/00, Slg. 2007, II-797, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht Art. 2 der Entscheidung 2002/14/EG der Kommission vom 12. Juli 2000 betreffend die von Frankreich zugunsten von Scott Paper SA/Kimberly-Clark gewährte staatliche Beihilfe (ABl. L 12, S. 1, im Folgenden: streitige Entscheidung) für nichtig erklärt hat, soweit er die Beihilfe betrifft, die in Form des Vorzugspreises für ein Grundstück gewährt wurde.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 2
Die Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [88] des EG-Vertrags (ABl. L 83, S. 1) soll ihrem zweiten Erwägungsgrund zufolge im Wesentlichen die kohärente Praxis der Kommission bei der Anwendung von Art. 88 EG in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs kodifizieren und verstärken.
Rz. 3
Nach Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung werden in der Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Verfahrens zur Prüfung neuer notifizierter Beihilfen der „betreffende Mitgliedstaat und die anderen Beteiligten … zu einer Stellungnahme innerhalb einer Frist von normalerweise höchstens einem Monat aufgefordert”, die in ordnungsgemäß begründeten Fällen verlängert werden kann.
Rz. 4
In Art. 10 Abs. 3 der Verordnung Nr. 659/1999 heißt es:
„Werden von dem betreffenden Mitgliedstaat trotz eines Erinnerungsschreibens … die verlangten Auskünfte innerhalb der von der Kommission festgesetzten Frist nicht oder nicht vollständig erteilt, so fordert die Kommission die Auskünfte durch Entscheidung an …”
Sachverhalt
Rz. 5
Scott Paper Company ist eine amerikanische Gesellschaft, die Toiletten- und Haushaltspapier herstellt. Um die Errichtung eines Werks in Frankreich zu ermöglichen, beauftragten die Bouton Brochard Scott SA, deren Rechtsnachfolgerin die Scott SA (im Folgenden: Scott) ist, als französische Tochterfirma der amerikanischen Gesellschaft, das Departement Loiret und die Stadt Orléans aufgrund einer Vereinbarung vom 12. September 1987 die Société d’économie mixte pour l’équipement du Loiret (im Folgenden: Sempel), sämtliche Studien und Bauarbeiten durchzuführen, die für die Erschließung der für das Werk benötigten Grundstücke mit einer Größe von etwa 68 Hektar erforderlich waren.
Rz. 6
Die betreffenden Grundstücke waren Sempel für einen symbolischen Preis von einem Franc von der Stadt Orléans überlassen worden, die sie selbst zuvor infolge von drei Transaktionen erworben hatte, und zwar 30 Hektar im Jahr 1975, 32,5 Hektar 1984 und 5,5 Hektar 1987. Die Stadt Orléans und das Departement Loiret hatten sich verpflichtet, die Kosten für die Erschließung des Standorts bis zu einem Betrag von 80 Mio. FRF zu finanzieren.
Rz. 7
Ende 1987 verkaufte Sempel gemäß einem Vertrag vom 31. August 1987 zwischen der Stadt Orléans, dem Departement Loiret und Scott (im Folgenden: Vertrag Scott) einen Teil der erschlossenen Grundstücke, und zwar 48 Hektar der v...