Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Rechte von Arbeitnehmern aus Drittländern, die Inhaber einer kombinierten Erlaubnis sind. Recht auf Gleichbehandlung. Soziale Sicherheit. Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Leistungen bei Mutterschaft und Vaterschaft. Familienleistungen. Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, mit denen Drittstaatsangehörige, die Inhaber einer kombinierten Erlaubnis sind, von der Gewährung einer Geburtsbeihilfe und einer Mutterschaftsbeihilfe ausgeschlossen werden
Normenkette
Richtlinie 2011/98/EU Art. 12; Verordnung (EG) Nr. 883/2004 Art. 3
Beteiligte
Istituto nazionale della previdenza sociale (INPS) |
Tenor
Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über ein einheitliches Verfahren zur Beantragung einer kombinierten Erlaubnis für Drittstaatsangehörige, sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufzuhalten und zu arbeiten, sowie über ein gemeinsames Bündel von Rechten für Drittstaatsarbeitnehmer, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten, ist dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die die in Art. 3 Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie genannten Drittstaatsangehörigen von der Gewährung einer in diesen Rechtsvorschriften vorgesehenen Geburtsbeihilfe und Mutterschaftsbeihilfe ausschließen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof, Italien) mit Entscheidung vom 8. Juli 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Juli 2020, in dem Verfahren
O.D.,
R.I.H.V.,
B.O.,
F.G.,
M.K.F.B.,
E.S.,
N.P.,
S.E.A.
gegen
Istituto nazionale della previdenza sociale (INPS),
Beteiligte:
Presidenza del Consiglio dei Ministri,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten M. Vilaras, E. Regan, A. Kumin und N. Wahl, des Richters T. von Danwitz, der Richterin C. Toader, der Richter M. Safjan, D. Šváby und S. Rodin, der Richterin L. S. Rossi sowie der Richter I. Jarukaitis (Berichterstatter) und N. Jääskinen,
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von O.D., R.I.H.V., B.O., F.G., M.K.F.B., E.S. und S.E.A., vertreten durch A. Guariso, L. Neri, R. Randellini, E. Fiorini und M. Nappi, avvocati,
- von N.P., vertreten durch A. Andreoni und V. Angiolini, avvocati,
- des Istituto nazionale della previdenza sociale (INPS), vertreten durch M. Sferrazza und V. Stumpo, avvocati,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga und D. Martin als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 34 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b und j der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, und Berichtigungen im ABl. 2004, L 200, S. 1, und im ABl. 2015, L 213, S. 65) sowie von Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über ein einheitliches Verfahren zur Beantragung einer kombinierten Erlaubnis für Drittstaatsangehörige, sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufzuhalten und zu arbeiten, sowie über ein gemeinsames Bündel von Rechten für Drittstaatsarbeitnehmer, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten (ABl. 2011, L 343, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen O.D., R.I.H.V., B.O., F.G., M.K.F.B., E.S., N.P. und S.E.A., Drittstaatsangehörigen, die Inhaber einer kombinierten Erlaubnis sind, und dem Istituto Nazionale della Previdenza Sociale (INPS) (Staatliche Sozialversicherungsanstalt, Italien) wegen dessen Weigerung, ihnen eine Geburtsbeihilfe und eine Mutterschaftsbeihilfe zu gewähren.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2011/98
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 20, 24 und 31 der Richtlinie 2011/98 heißt es:
„(20) Alle Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig in den Mitgliedstaaten aufhalten und dort arbeiten, sollten nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung zumindest ein gemeinsames Bündel gleicher Rechte wie die Staatsangehörigen des jeweiligen Aufnahmemitgliedstaates genießen, ungeachtet des ursprünglichen Zwecks bzw. der Grundlage ihrer Zulassung. Das Recht auf Gleichbehandlung in den in dieser Richtlinie geregelten Bereichen sollte nicht nur jenen Drittstaatsangehörigen zuerkannt werden, die ...