Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Freier Dienstleistungsverkehr. Beschränkungen. Verfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen. Wesentliche Änderungen. Sofortlotteriespiele. Nationale Regelung, die die Erneuerung einer Konzession ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens vorsieht. Rechtsschutzinteresse

 

Normenkette

AEUV Art. 49; Richtlinie 89/665/EWG Art. 1 Abs. 3; EURL 23/2014 Art. 43; AEUV Art. 56

 

Beteiligte

Sisal

Sisal SpA

Stanleybet Malta Ltd

Magellan Robotech Ltd

Agenzia delle Dogane e dei Monopoli

Ministero dell'Economia e delle Finanze

 

Tenor

1. Das Unionsrecht, insbesondere Art. 43 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe, ist dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung, nach der ein Konzessionsvertrag ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zu erneuern ist, während das geltende nationale Recht vorsah, dass eine solche Konzession grundsätzlich an mehrere – höchstens vier – Wirtschaftsteilnehmer zu vergeben ist, in einem Fall, in dem der Konzessionsvertrag an einen einzigen Konzessionsnehmer vergeben wurde, dann nicht entgegensteht, wenn mit dieser nationalen Regelung eine Klausel angewendet wird, die im ursprünglichen Konzessionsvertrag enthalten war und eine solche Erneuerung als Option vorsah.

2. Das Unionsrecht, insbesondere Art. 43 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2014/23, ist dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung, nach der zwei Jahre vor dem Ablauf der Konzession über deren Erneuerung entschieden wird und mit der die im ursprünglichen Konzessionsvertrag vorgesehenen Modalitäten der Zahlung der vom Konzessionsnehmer geschuldeten finanziellen Gegenleistung geändert werden, so dass neue und höhere Einnahmen für den Staatshaushalt gewährleistet sind, dann nicht entgegensteht, wenn diese Änderung nicht wesentlich im Sinne von Art. 43 Abs. 4 der Richtlinie ist.

3. Art. 43 Abs. 4 der Richtlinie 2014/23 und Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2014/23 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass ein Wirtschaftsteilnehmer gegen eine Entscheidung, mit der eine Konzession erneuert wird, einen Rechtsbehelf mit der Begründung einlegen kann, dass die Durchführungsbedingungen des ursprünglichen Konzessionsvertrags wesentlich geändert worden sind, auch wenn er nicht am ursprünglichen Verfahren zur Vergabe der Konzession teilgenommen hat, sofern er zu dem Zeitpunkt, zu dem die Konzession zu erneuern ist, ein Interesse an der Erteilung der Konzession nachweisen kann.

 

Tatbestand

In den verbundenen Rechtssachen

betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) mit Entscheidungen vom 20. Juni 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 23. September 2019, in den Verfahren

Sisal SpA (C-721/19),

Stanleybet Malta Ltd (C-722/19),

Magellan Robotech Ltd (C-722/19)

gegen

Agenzia delle Dogane e dei Monopoli,

Ministero dell'Economia e delle Finanze,

Beteiligte:

Lotterie Nazionali Srl,

Lottomatica Holding Srl, vormals Lottomatica SpA (C-722/19),

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter M. Ilešič, E. Juhász (Berichterstatter), C. Lycourgos und I. Jarukaitis,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Sisal SpA, vertreten durch L. Medugno, F. Cintioli, S. Sticchi Damiani und A. Lauteri, avvocati,
  • der Stanleybet Malta Ltd und der Magellan Robotech Ltd, vertreten durch R. A. Jacchia, A. Terranova, F. Ferraro und D. Agnello, avvocati,
  • der Lotterie Nazionali Srl, vertreten durch V. Fortunato, R. Baratta und A. Botto, avvocati,
  • der Lottomatica Holding Srl, vormals Lottomatica SpA, vertreten durch S. Fidanzia und A. Gigliola, avvocati,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. G. Marrone und S. Fiorentino, avvocati dello Stato,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Armati, G. Gattinara und L. Malferrari als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. Januar 2021

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art. 49 und 56 AEUV sowie der Art. 3 und 43 der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe (ABl. 2014, L 94, S. 1) im Licht des Grundsatzes der Rechtssicherheit, des Diskriminierungsverbots und der Grundsätze der Transparenz, der Unparteilichkeit, des freien Wettbewerbs, der Verhältnismäßigkeit, des Vertrauensschutzes und der Kohärenz.

Rz. 2

Sie ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten, nämlich erstens (Rechtssach...

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