Entscheidungsstichwort (Thema)
Unionsvorschriften über die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs. Richtlinie 98/5/EG. Art. 8. Verhinderung von Interessenkonflikten. Nationale Rechtsvorschriften, nach denen die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs mit einer Teilzeitbeschäftigung im öffentlichen Dienst unvereinbar ist. Streichung aus dem Anwaltsverzeichnis
Beteiligte
Tenor
1. Die Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG, 4 EG, 10 EG, 81 EG und 98 EG stehen einer nationalen Regelung nicht entgegen, die Beamte, die eine Teilzeitbeschäftigung ausüben, daran hindert, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben, selbst wenn sie über die entsprechende Berechtigung verfügen, und ihre Streichung im Verzeichnis der Anwaltskammer vorsieht.
2. Art. 8 der Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, ist dahin auszulegen, dass es dem Aufnahmemitgliedstaat freisteht, den dort eingetragenen und – in Vollzeit oder in Teilzeit – von einem anderen Rechtsanwalt, einem Zusammenschluss von Anwälten oder einer Anwaltssozietät oder einem öffentlichen oder privaten Unternehmen beschäftigten Rechtsanwälten Beschränkungen hinsichtlich der gleichzeitigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs und dieser Beschäftigung aufzuerlegen, sofern diese Beschränkungen nicht über das zur Erreichung des Ziels der Verhinderung von Interessenkonflikten Erforderliche hinausgehen und für alle in diesem Mitgliedstaat eingetragenen Rechtsanwälte gelten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Giudice di pace di Cortona (Italien) mit Entscheidung vom 23. April 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Juni 2009, in dem Verfahren
Edyta Joanna Jakubowska
gegen
Alessandro Maneggia
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Richters E. Levits in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter M. Ilešič (Berichterstatter) und M. Safjan,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: M.-A. Gaudissart, Referatsleiter,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 24. Juni 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Frau Jakubowska, vertreten durch M. Frigessi di Rattalma, avvocato,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili und L. Ventrella, avvocati dello Stato,
- der irischen Regierung, vertreten durch D. J. O'Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von M. Collins, SC,
- der ungarischen Regierung, vertreten durch R. Somssich, M. Fehér und Z. Tóth als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl als Bevollmächtigten,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes als Bevollmächtigten,
- der slowenischen Regierung, vertreten durch N. Pintar Gosenca als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Støvlbæk und E. Montaguti als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG, 4 EG, 10 EG, 81 EG und 98 EG, der Richtlinie 77/249/EWG des Rates vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte (ABl. L 78, S. 17), der Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde (ABl. L 77, S. 36), sowie der allgemeinen Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Wahrung erworbener Rechte.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Jakubowska und Herrn Maneggia wegen einer Schadensersatzforderung, der zu einem derzeit beim Giudice di pace di Cortona (Friedensrichter von Cortona) anhängigen Verfahren geführt hat, in dem gegen die Frau Jakubowska vertretenden Anwälte eine Entscheidung über ihre Streichung im Verzeichnis des Ordine degli Avvocati di Perugia (Anwaltskammer von Perugia) erging.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 77/249
Rz. 3
Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 77/249 bestimmt:
„Diese Richtlinie gilt innerhalb der darin festgelegten Grenzen und unter den darin vorgesehenen Bedingungen für die in Form der Dienstleistung ausgeübten Tätigkeiten der Rechtsanwälte.”
Rz. 4
Art. 6 dieser Richtlinie sieht vor:
„Jeder Mitgliedstaat kann die im Gehaltsverhältnis stehenden Rechtsanwälte, die durch einen Arbeitsvertrag an ein staatliches oder privates Unternehmen gebunden sind, von der Ausübung der Tätigkeiten der Vertretung und Verteidigung im Bereich der Rechtspflege für dieses Unternehmen insoweit ausschließen, als die in diesem Staat ansässigen Rechtsanwält...