Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Besondere Zuständigkeit, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden. Begriff ‚Erfüllungsort der Verpflichtung’. Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen. Luftverkehr. Flug, der durch eine bestätigte einheitliche Buchung gekennzeichnet ist und von zwei verschiedenen Luftfahrtunternehmen in mehreren Teilflügen durchgeführt wird. Gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen. Ausgleichsanspruch. Verspätung des ersten Teilflugs. Klage auf Ausgleichszahlung, die sich gegen das mit dem ersten Teilflug beauftragte Luftfahrtunternehmen richtet und bei dem Gericht am Ankunftsort dieses Teilflugs erhoben wird
Normenkette
Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich; Verordnung (EG) Nr. 261/2004 Art. 7
Beteiligte
Tenor
Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass bei einem Flug, der durch eine bestätigte einheitliche Buchung für die gesamte Reise gekennzeichnet und in zwei oder mehr Teilflüge unterteilt ist, auf denen die Beförderung von verschiedenen Luftfahrtunternehmen durchgeführt wird, der Ankunftsort des ersten Teilflugs nicht als „Erfüllungsort” im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden kann, wenn eine auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs[-] und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 erhobene Klage auf Ausgleichszahlung allein durch eine wegen verzögerten Abflugs eingetretene Verspätung dieses Teilflugs veranlasst wurde und sich gegen das mit dessen Durchführung beauftragte Luftfahrtunternehmen richtet.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Frankfurt am Main (Deutschland) mit Entscheidung vom 26. November 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Januar 2021, in dem Verfahren
JW,
HD,
XS
gegen
LOT Polish Airlines
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten S. Rodin, des Richters J.-C. Bonichot und der Richterin O. Spineanu-Matei (Berichterstatterin),
Generalanwältin: L. Medina,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von XS, HD und JW, vertreten durch Rechtsanwalt J.-C. Woicke,
- von LOT Polish Airlines, vertreten durch Rechtsanwältin C. Hess,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Heller und S. Noë als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen drei Fluggästen, JW, HD und XS, und der Fluggesellschaft LOT Polish Airlines über Ausgleichszahlungen wegen einer Flugverspätung.
Rechtlicher Rahmen
VerordnungNr. 1215/2012
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 15 und 16 der Verordnung Nr. 1215/2012 heißt es:
„(15) Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. Diese Zuständigkeit sollte stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.
(16) Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten sollte durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind. Das Erfordernis der engen Verbindung soll Rechtssicherheit schaffen und verhindern, dass die Gegenpartei vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte. …”
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