Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats. Verstoß gegen Art. 307 Abs. 2 EG. Nichtergreifung geeigneter Maßnahmen zur Behebung der Unvereinbarkeiten zwischen den vor dem Beitritt des Mitgliedstaats zur Europäischen Union mit Drittstaaten geschlossenen bilateralen Abkommen und dem EG-Vertrag. Investitionsabkommen der Republik Österreich mit der Republik Korea, der Republik Kap Verde, der Volksrepublik China, Malaysia, der Russischen Föderation und der Republik Türkei
Beteiligte
Kommission der Europäischen Gemeinschaften |
Tenor
1. Die Republik Österreich hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 307 Abs. 2 EG verstoßen, dass sie nicht die geeigneten Mittel anwandte, um die Unvereinbarkeiten im Zusammenhang mit den Bestimmungen über den Transfer von Kapital zu beheben, die in ihren Investitionsabkommen mit der Republik Korea, der Republik Kap Verde, der Volksrepublik China, Malaysia, der Russischen Föderation und der Republik Türkei enthalten sind.
2. Die Republik Österreich trägt die Kosten.
3. Die Bundesrepublik Deutschland, die Republik Litauen, die Republik Ungarn und die Republik Finnland tragen ihre eigenen Kosten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 5. Mai 2006,
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch H. Støvlbæk, B. Martenczuk und C. Tufvesson als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Republik Österreich, vertreten durch C. Pesendorfer und G. Thallinger als Bevollmächtigte,
Beklagte,
unterstützt durch
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch M. Lumma und C. Blaschke als Bevollmächtigte,
Republik Litauen, vertreten durch D. Kriaučiūnas als Bevollmächtigten,
Republik Ungarn, vertreten durch J. Fazekas, K. Szíjjártó und M. Fehér als Bevollmächtigte,
Republik Finnland, vertreten durch A. Guimaraes-Purokoski und J. Heliskoski als Bevollmächtigte,
Streithelferinnen,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C.W.A. Timmermans, A. Rosas, K. Lenaerts, M. ilešič, A. Ó Caoimh und J.-C. Bonichot (Berichterstatter) sowie der Richter G. Arestis, A. Borg Barthet, J. Malenovský, U. Lõhmus und E. Levits,
Generalanwalt: M. Poiares Maduro,
Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Mai 2008,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. Juli 2008
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihrer Klageschrift beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Republik Österreich durch die Nichtergreifung angemessener Maßnahmen zur Behebung von Unvereinbarkeiten in Bezug auf die Bestimmungen über den Transfer von Kapital, die in den Investitionsabkommen mit der Republik Korea, der Republik Kap Verde, der Volksrepublik China, Malaysia, der Russischen Föderation und der Republik Türkei enthalten sind, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 307 Abs. 2 EG verstoßen hat.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 2
Die Republik Österreich schloss vor ihrem Beitritt zur Europäischen Union bilaterale Investitionsabkommen mit der Volksrepublik China (in Kraft getreten am 11. Oktober 1986 [BGBl 1986/537]), Malaysia (in Kraft getreten am 1. Januar 1987 [BGBl 1986/601]), der Russischen Föderation (in Kraft getreten am 1. September 1991 [BGBl 1991/387], ursprünglich geschlossen mit der damaligen Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und gemäß einem Notenwechsel [BGBl 1994/257] zwischen der Republik Österreich und der Russischen Föderation weiter anwendbar), der Republik Korea (in Kraft getreten am 1. November 1991 [BGBl 1991/523]), der Republik Türkei (in Kraft getreten am 1. Januar 1992 [BGBl 1991/612]) und der Republik Kap Verde (in Kraft getreten am 1. April 1993 [BGBl 1993/83]).
Rz. 3
Diese Abkommen enthalten eine Klausel, der zufolge jede Vertragspartei Investoren der anderen Vertragspartei ohne ungebührliche Verzögerung den freien Transfer in frei konvertierbarer Währung der im Zusammenhang mit einer Investition stehenden Zahlungen gewährleistet.
Vorverfahren
Rz. 4
Da die Kommission der Auffassung war, dass diese bilateralen Abkommen die Anwendung von Beschränkungen des Kapital- oder Zahlungsverkehrs, die der Rat der Europäischen Union nach den Art. 57 Abs. 2 EG, 59 EG und 60 Abs. 1 EG erlassen kann, vereiteln können, richtete sie am 12. Mai 2004 an die Republik Österreich ein Aufforderungsschreiben.
Rz. 5
Mit Schreiben vom 14. Juli 2004 übermittelte die Republik Österreich der Kommission ihre Stellungnahme zu dem Aufforderungsschreiben. Sie erklärte, dass die streitigen Bestimmungen ihrer Investitionsabkommen weder die im EG-Vertrag vorgesehenen Maßnahmen zur Beschränkung des Kapital- oder Zahlungsverkehrs beeinträchtigten noch das Abstimmungsverhalten Österreichs bei beschränkenden Maßnahmen präjudizierten und dass sie daher in die Befugnisse des Rates, falls er derartige Maßnahmen...