Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmittel. Staatliche Beihilfe. Beihilfe in Form einer impliziten unbeschränkten Bürgschaft zugunsten von La Poste aufgrund von deren Status als öffentliches Unternehmen. Bestehen der Bürgschaft. Vorliegen staatlicher Mittel. Vorteil. Beweislast und Beweisanforderungen
Beteiligte
Tenor
1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
2. Die Französische Republik trägt die Kosten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 3. Dezember 2012,
Französische Republik, vertreten durch G. de Bergues, D. Colas, J. Gstalter und J. Bousin als Bevollmächtigte,
Rechtsmittelführerin,
andere Partei des Verfahrens:
Europäische Kommission, vertreten durch B. Stromsky und D. Grespan als Bevollmächtigte,
Beklagte im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano (Berichterstatter), der Richter A. Borg Barthet und E. Levits, der Richterin M. Berger sowie des Richters S. Rodin,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. September 2013,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. November 2013
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Französische Republik die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 20. September 2012, Frankreich/Kommission (T-154/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht ihre Klage gegen den Beschluss 2010/605/EU der Kommission vom 26. Januar 2010 über die staatliche Beihilfe C 56/07 (ex E 15/05) Frankreichs zugunsten von La Poste (ABl. L 274, S. 1, im Folgenden: streitiger Beschluss) abgewiesen hat.
Vorgeschichte des Rechtsstreits
Allgemeiner Kontext
Rz. 2
Aufgrund des französischen Gesetzes Nr. 90-568 vom 2. Juli 1990 über die Organisation des öffentlichen Post- und Telekommunikationsdienstes (Loi n° 90-568 du 2 juillet 1990 relative à l'organisation du service public de la poste et des télécommunications) (JORF vom 8. Juli 1990, S. 8069) wurde die ehemalige Generaldirektion für Post und Telekommunikation (Direction générale des postes et télécommunications), die bis dahin dem Ministerium für Post und Telekommunikation unterstellt war, mit Wirkung zum 1. Januar 1991 in zwei eigenständige juristische Personen des öffentlichen Rechts umgewandelt, nämlich France Télécom und La Poste. Durch dieses Gesetz wurde La Poste ausdrücklich ermächtigt, neben der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben bestimmte dem Wettbewerb unterliegende Tätigkeiten aufzunehmen.
Rz. 3
In Art. 1 des Erlasses vom 31. Dezember 1990, mit dem für vor dem 31. Dezember 1990 ausgegebene PTT-Obligationen und PTT-Sparbriefe eine Staatsbürgschaft gewährt wurde (JORF vom 18. Januar 1991, S. 917), heißt es: „Die Zahlung von Zinsen, Tilgung, Prämien, Provisionen, Spesen und Nebenkosten der PTT-Obligationen und -Sparbriefe, die vor dem 31. Dezember 1990 zur Finanzierung der Investitionsausgaben des Zusatzhaushalts für Post und Telekommunikation nach Art. L. 127 des Code des postes et télécommunications (Post- und Telekommunikationsgesetz) … ausgegeben und nach Art. 22 des Gesetzes vom 2. Juli 1990 … auf La Poste übertragen wurden, wird vom Staat unbeschränkt garantiert.”
Rz. 4
Zudem stellte die Cour de cassation (Zweite Zivilkammer) mit Urteil vom 18. Januar 2001 fest, dass La Poste grundsätzlich einem öffentlichen Industrie- und Handelsunternehmen (établissement public à caractère industriel et commercial, im Folgenden: EPIC) gleichzustellen sei.
Rz. 5
Im französischen Verwaltungsrecht sind die EPIC juristische Personen des öffentlichen Rechts, die über eine vom Staat gesonderte Rechtspersönlichkeit, Finanzautonomie sowie besondere Zuständigkeiten kraft Zuweisung verfügen, zu denen im Allgemeinen die Wahrnehmung einer oder mehrerer öffentlicher Aufgaben gehört.
Rz. 6
Der Status der EPIC bringt eine Reihe von rechtlichen Konsequenzen mit sich, u. a. die Nichtanwendbarkeit der Zahlungsunfähigkeits- und Konkursverfahren des allgemeinen Rechts sowie die Anwendbarkeit des Gesetzes Nr. 80-539 vom 16. Juli 1980 über die von Behörden verhängten Zwangsgelder und über die Erfüllung von Urteilen durch juristische Personen des öffentlichen Rechts (Loi n° 80-539 du 16 juillet 1980 relative aux astreintes prononcées en matière administrative et à l'exécution des jugements par les personnes morales de droit public) (JORF vom 17. Juli 1980, S. 1799).
Verwaltungsverfahren und streitiger Beschluss
Rz. 7
Mit Entscheidung vom 21. Dezember 2005 billigte die Europäische Kommission die Ausgliederung der Bank- und Finanzdienstleistungen von La Poste in ihre Tochtergesellschaft La Banque Postale. In dieser Entscheidung führte die Kommission aus, dass hinsichtlich der unbeschränkten staatlichen Bürgschaft ...