Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmittel. Kartelle. Markt für Selbstdurchschreibepapier. Fehlende Übereinstimmung zwischen der Mitteilung der Beschwerdepunkte und der streitigen Entscheidung. Verletzung der Verteidigungsrechte. Folgen. Verfälschung von Beweismitteln. Beteiligung an der Zuwiderhandlung. Dauer der Zuwiderhandlung. Verordnung Nr. 17. Art. 15 Abs. 2. Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen. Grundsatz der Gleichbehandlung. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Begründungspflicht. Angemessene Dauer des Verfahrens vor dem Gericht
Beteiligte
Papierfabrik August Koehler / Kommission |
Kommission der Europäischen Gemeinschaften |
Papierfabrik August Koehler AG |
Distribuidora Vizcaína de Papeles SL |
Tenor
1. Das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 26. April 2007, Bolloré u. a./Kommission (T-109/02, T-118/02, T-122/02, T-125/02, T-126/02, T-128/02, T-129/02, T-132/02 und T-136/02), wird aufgehoben, soweit es die Bolloré SA betrifft.
2. Die Entscheidung 2004/337/EG der Kommission vom 20. Dezember 2001 in einem Verfahren nach Art. 81 EG-Vertrag und Art. 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/E-1/36.212 – Selbstdurchschreibepapier) wird für nichtig erklärt, soweit sie die Bolloré SA betrifft.
3. Die Rechtsmittel der Papierfabrik August Koehler AG und der Distribuidora Vizcaína de Papeles SL werden zurückgewiesen.
4. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften trägt die Kosten des ersten Rechtszugs und des Rechtsmittelverfahrens in der Rechtssache C-327/07 P.
5. Die Papierfabrik August Koehler AG und die Distribuidora Vizcaína de Papeles SL tragen die Kosten in den Rechtssachen C-322/07 P bzw. C-338/07 P.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend drei Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs, eingelegt am 9., 11. und 16. Juli 2007,
Papierfabrik August Koehler AG mit Sitz in Oberkirch (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte I. Brinker und S. Hirsbrunner sowie Professor J. Schwarze,
Bolloré SA mit Sitz in Ergue Gaberic (Frankreich), Prozessbevollmächtigte: C. Momège und P. Gassenbach, avocats, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Distribuidora Vizcaína de Papeles SL mit Sitz in Derio (Spanien), Prozessbevollmächtigte: E. Pérez Medrano und T. Díaz Utrilla, abogados,
Rechtsmittelführerinnen,
andere Verfahrensbeteiligte:
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch F. Castillo de la Torre und W. Mölls als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt H.-J. Freund und N. Coutrelis, avocat, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas, der Richter A. Ó Caoimh, J. Klučka (Berichterstatter) und U. Lõhmus sowie der Richterin P. Lindh,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. September 2008,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. April 2009
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihren Rechtsmitteln beantragen die Papierfabrik August Koehler AG (im Folgenden: Koehler) (C-322/07 P), die Bolloré SA (im Folgenden: Bolloré) (C-327/07 P) und die Distribuidora Vizcaína de Papeles SL (im Folgenden: Divipa) (C-338/07 P) die Aufhebung des Urteils des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 26. April 2007, Bolloré u. a./Kommission (T-109/02, T-118/02, T-122/02, T-125/02, T-126/02, T-128/02, T-129/02, T-132/02 und T-136/02, Slg. 2007, II 947, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht die Klagen u. a. von Bolloré, Koehler und Divipa auf Nichtigerklärung der Entscheidung 2004/337/EG der Kommission vom 20. Dezember 2001 in einem Verfahren nach Art. 81 EG-Vertrag und Art. 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/E-1/36.212 – Selbstdurchschreibepapier) (ABl. 2004, L 115, S. 1, im Folgenden: streitige Entscheidung) abgewiesen hat. Mit der streitigen Entscheidung hatte die Kommission gegen Koehler eine Geldbuße von 33,07 Mio. Euro, gegen Bolloré eine Geldbuße von 22,68 Mio. Euro und gegen Divipa eine Geldbuße von 1,75 Mio. Euro festgesetzt.
Vorgeschichte des Rechtsstreits
Rz. 2
Der dem vorliegenden Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt, wie er in den Randnrn. 1 bis 13 des angefochtenen Urteils dargestellt ist, lässt sich wie folgt zusammenfassen.
Rz. 3
Im Herbst 1996 übermittelte der Papierkonzern Sappi, dessen Muttergesellschaft die Sappi Ltd ist (im Folgenden: Sappi), der Kommission Informationen und Unterlagen, die bei ihr den Verdacht weckten, dass eine geheime Absprache über die Festsetzung von Preisen auf dem Markt für Selbstdurchschreibepapier, auf dem Sappi als Hersteller tätig war, bestehe oder bestanden habe.
Rz. 4
Angesichts der von Sappi gemachten Angaben nahm die Kommission bei einer Reihe von Herstellern von Selbstdurchschreibepapier Nachprüfungen gemäß Art. 14 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln [81] und ...