Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Soziale Sicherheit. Voraussetzungen für die Gewährung von Arbeitslosengeld in einem Mitgliedstaat. Berücksichtigung von Arbeitszeiten als Vertragsbediensteter im Dienst eines in diesem Mitgliedstaat ansässigen Organs der Europäischen Union. Gleichstellung von Tagen der Arbeitslosigkeit, für die nach den Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften eine Zahlung geleistet wird, mit Arbeitstagen. Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit
Beteiligte
Office national de l'emploi |
Tenor
Art. 10 EG in Verbindung mit den Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften, die in der Verordnung (EWG, Euratom, EGKS) Nr. 259/68 des Rates vom 29. Februar 1968 zur Festlegung des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten dieser Gemeinschaften sowie zur Einführung von Sondermaßnahmen, die vorübergehend auf die Beamten der Kommission anwendbar sind, in der durch die Verordnung (EG, Euratom) Nr. 723/2004 des Rates vom 22. März 2004 geänderten Fassung niedergelegt sind, steht der Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegen, die dahin ausgelegt wird, dass für den Anspruch auf Arbeitslosengeld die als Vertragsbediensteter bei einem Organ der Union mit Sitz in diesem Mitgliedstaat zurückgelegten Arbeitszeiten nicht berücksichtigt werden und Tage der Arbeitslosigkeit, für die Arbeitslosengeld nach den Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften gezahlt wurde, Arbeitstagen nicht gleichgestellt werden, solche, für die nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats eine Zahlung geleistet wurde, hingegen schon.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour du travail de Bruxelles (Belgien) mit Entscheidung vom 27. November 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Dezember 2013, in dem Verfahren
Office national de l'emploi
gegen
Marie-Rose Melchior
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, des Richters A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader sowie der Richter E. Jarašiūnas (Berichterstatter) und C. G. Fernlund,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Frau Melchior, vertreten durch S. Capiau, avocat,
- der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara und D. Martin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. Oktober 2014
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit und von Art. 34 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Office national de l'emploi (nationales Amt für Beschäftigung, im Folgenden: ONEM) und Frau Melchior wegen der Weigerung des ONEM, Frau Melchior Arbeitslosengeld zu gewähren.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 96 der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften, die in der Verordnung (EWG, Euratom, EGKS) Nr. 259/68 des Rates vom 29. Februar 1968 zur Festlegung des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten dieser Gemeinschaften sowie zur Einführung von Sondermaßnahmen, die vorübergehend auf die Beamten der Kommission anwendbar sind (ABl. L 56, S. 1), in der durch die Verordnung (EG, Euratom) Nr. 723/2004 des Rates vom 22. März 2004 (ABl. L 124, S. 1) geänderten Fassung niedergelegt sind (im Folgenden: BSB), bestimmt:
„(1) Der ehemalige Vertragsbedienstete, der nach dem Ausscheiden aus dem Dienst bei einem Organ der Gemeinschaft arbeitslos ist und
- der von der Gemeinschaft kein Ruhegehalt und kein Invalidengeld bezieht,
- der nicht aufgrund einer Entlassung oder Auflösung des Vertrags aus disziplinarischen Gründen aus dem Dienst ausgeschieden ist,
- der eine Mindestdienstzeit von sechs Monaten abgeleistet hat und
- der in einem Mitgliedstaat seinen Wohnsitz hat,
erhält unter den nachstehend festgelegten Voraussetzungen ein monatliches Arbeitslosengeld.
Hat er Anspruch auf Arbeitslosengeld aus einer einzelstaatlichen Versicherung, so ist er verpflichtet, dies dem Organ, dem er angehörte, anzugeben; dieses Organ setzt umgehend die Kommission davon in Kenntnis. In diesem Fall wird der entsprechende Betrag von dem nach Absatz 3 gezahlten Arbeitslosengeld abgezogen.
(2) Um Arbeitslosengeld zu erhalten, muss der ehemalige Vertragsbedienstete
- auf eigenen Antrag beim Arbeitsamt des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz nimmt, als Arbeitsuchender gemelde...