Entscheidungsstichwort (Thema)

Recht auf Familienzusammenführung. Richtlinie 2003/86/EG. Begriff ‚Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen’. Begriff ‚Familienzusammenführung’. Familiengründung

 

Beteiligte

Chakroun

Rhimou Chakroun

Minister van Buitenlandse Zaken

 

Tenor

1. Die Wendung „Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen” in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung ist dahin auszulegen, dass sie einem Mitgliedstaat nicht erlaubt, eine Regelung für die Familienzusammenführung zu treffen, die dazu führt, dass die Familienzusammenführung einem Zusammenführenden nicht gestattet wird, der nachgewiesen hat, dass er über ausreichende feste und regelmäßige Einkünfte verfügt, um die allgemein notwendigen Kosten des Lebensunterhalts für sich und seine Familienangehörigen zu bestreiten, jedoch wegen der Höhe seiner Einkünfte die besondere Sozialhilfe zur Bestreitung besonderer, individuell bestimmter notwendiger Kosten des Lebensunterhalts, einkommensabhängige Befreiungen von Abgaben nachgeordneter Gebietskörperschaften oder einkommensunterstützende Maßnahmen im Rahmen der gemeindlichen Politik für Einkommensschwache („minimabeleid”) in Anspruch nehmen kann.

2. Die Richtlinie 2003/86, insbesondere Art. 2 Buchst. d, ist dahin auszulegen, dass diese Bestimmung einer nationalen Regelung entgegensteht, in der bei der Anwendung des Einkommenserfordernisses des Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie danach unterschieden wird, ob die familiären Bindungen vor oder nach der Einreise des Zusammenführenden in den Aufnahmemitgliedstaat entstanden sind.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach den Art. 68 EG und 234 EG, eingereicht vom Raad van State (Niederlande) mit Entscheidung vom 23. Dezember 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Dezember 2008, in dem Verfahren

Rhimou Chakroun

gegen

Minister van Buitenlandse Zaken

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues sowie der Richter A. Rosas (Berichterstatter), U. Lõhmus, A. Ó Caoimh und A. Arabadjiev,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. Oktober 2009,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Frau Chakroun, vertreten durch R. Veerkamp, advocaat,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch C. M. Wissels und Y. de Vries als Bevollmächtigte,
  • der griechischen Regierung, vertreten durch T. Papadopoulou, G. Kanellopoulos und Z. Chatzipavlou als Bevollmächtigte,
  • der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Condou-Durande und R. Troosters als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 10. Dezember 2009

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Buchst. d und Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. L 251, S. 12, im Folgenden: Richtlinie).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Chakroun und dem Minister van Buitenlandse Zaken (Minister für auswärtige Angelegenheiten, im Folgenden: Minister) wegen der Ablehnung des Antrags der Klägerin des Ausgangsverfahrens auf Erteilung einer vorläufigen Aufenthaltserlaubnis.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Die Richtlinie legt die Bedingungen für die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung durch Drittstaatsangehörige fest, die sich rechtmäßig im Gebiet der Mitgliedstaaten aufhalten.

Rz. 4

Der zweite, der vierte und der sechste Erwägungsgrund der Richtlinie lauten:

„(2) Maßnahmen zur Familienzusammenführung sollten in Übereinstimmung mit der Verpflichtung zum Schutz der Familie und zur Achtung des Familienlebens getroffen werden, die in zahlreichen Instrumenten des Völkerrechts verankert ist. Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und berücksichtigt die Grundsätze, die insbesondere in Artikel 8 der [am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK)] und der [am 7. Dezember 2000 in Nizza verkündeten] Charta der Grundrechte der Europäischen Union [ABl. C 364, S. 1] anerkannt wurden.

(4) Die Familienzusammenführung ist eine notwendige Voraussetzung dafür, dass ein Familienleben möglich ist. Sie trägt zur Schaffung soziokultureller Stabilität bei, die die Integration Drittstaatsangehöriger in dem Mitgliedstaat erleichtert; dadurch wird auch der wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt gefördert, der als grundlegendes Ziel der Gemeinschaft im Vertrag aufgeführt wird.

(6) Zum Schutz der Familie und zur Wahrung oder Herstellung des Familienlebens sollten die materiellen Voraussetzungen für die Wahrnehmung des Rechts auf Familienzusammenführung nach gemeinsamen Kriterien bestimmt werden.”

Rz. 5

Art. 2 Buchst. ...

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