Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Umwelthaftung. Nationale Regelung, die für die Verwaltung nicht die Möglichkeit vorsieht, den Eigentümern von verschmutzten Grundstücken, die nicht zu der Verschmutzung beigetragen haben, die Vornahme von Vermeidungs- und Sanierungsmaßnahmen aufzuerlegen, und nur die Pflicht zur Kostenerstattung der von der Verwaltung durchgeführten Maßnahmen vorsieht. Vereinbarkeit mit dem Verursacherprinzip, den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung und dem Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen
Normenkette
AEUV Art. 191 Abs. 2; Richtlinie 2004/35/EG
Beteiligte
Ministero dell'Ambiente e della Tutela del Territorio e del Mare |
Ispra – Istituto Superiore per la Protezione e la Ricerca Ambientale |
Tenor
Die Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegensteht, die, wenn es unmöglich ist, den für die Verschmutzung eines Grundstücks Verantwortlichen zu ermitteln oder von diesem die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen zu erlangen, der zuständigen Behörde nicht erlaubt, die Durchführung der Vermeidungs- und Sanierungsmaßnahmen dem Eigentümer dieses Grundstücks, der für die Verschmutzung nicht verantwortlich ist, aufzuerlegen, und nach der dieser zur Erstattung der Kosten der von der zuständigen Behörde ergriffenen Maßnahmen nur in den Grenzen des nach der Durchführung dieser Maßnahmen ermittelten Marktwerts des Grundstücks verpflichtet ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Ersuchen um Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Italien) mit Entscheidung vom 8. Juli 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Oktober 2013, in dem Verfahren
Ministero dell'Ambiente e della Tutela del Territorio e del Mare,
Ministero della Salute,
Ispra – Istituto Superiore per la Protezione e la Ricerca Ambientale
gegen
Fipa Group Srl,
Beteiligte:
Comune di Massa,
Regione Toscana,
Provincia di Massa Carrara,
Comune di Carrara,
Arpat – Agenzia regionale per la protezione ambientale della Toscana,
Ediltecnica Srl,
Versalis SpA,
und
Ministero dell'Ambiente e della Tutela del Territorio e del Mare,
Ministero della Salute,
Ispra – Istituto Superiore per la Protezione e la Ricerca Ambientale
gegen
Tws Automation Srl,
Beteiligte:
Comune di Massa,
Regione Toscana,
Provincia di Massa Carrara,
Comune di Carrara,
Arpat – Agenzia regionale per la protezione ambientale della Toscana,
Ediltecnica Srl,
Versalis SpA,
und
Ministero dell'Ambiente e della Tutela del Territorio e del Mare,
Ministero della Salute,
gegen
Ivan Srl,
Beteiligte:
Edison SpA,
Comune di Massa,
Regione Toscana,
Provincia di Massa Carrara,
Comune di Carrara,
Arpat – Agenzia regionale per la protezione ambientale della Toscana,
Ediltecnica Srl,
Versalis SpA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, des Richters A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) sowie der Richter E. Jarašiūnas und C. G. Fernlund,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. November 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Tws Automation Srl, vertreten durch R. Lazzini und S. Prosperi Mangili, avvocati,
- der Ivan Srl, vertreten durch G. C. Di Gioia, F. Massa, L. Acquarone und G. Acquarone, avvocati,
- der Edison SpA, vertreten durch S. Masini, W. Troise Mangoni und G. L. Conti, avvocati,
- der Versalis SpA, vertreten durch S. Grassi, G. M. Roberti und I. Perego, avvocati,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von C. Gerardis, avvocato dello Stato,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Pignataro-Nolin und E. White als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 20. November 2014
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Grundsätze des Unionsrechts im Umweltbereich, insbesondere des Verursacherprinzips, der Grundsätze der Vorsorge und der Vorbeugung sowie des Grundsatzes, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen, wie sie in Art. 191 Abs. 2 AEUV, in den Erwägungsgründen 13 und 24 sowie in den Art. 1 und 8 Abs. 3 der Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden (ABl. L 143, S. 56) vorgesehen sind.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen von drei Rechtsstreitigkeiten: die ersten beiden zwischen dem Ministero dell'Ambiente e della Tutela del Territorio e del Mare (Ministerium für Umwelt und Landschafts- und Meeresschutz),...