Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Umwelt. Sachlicher Anwendungsbereich. Luftverschmutzung aufgrund illegaler Abfallverbrennung. Verursacherprinzip. Nationale Regelung, die eine gemeinsame Verantwortung des Eigentümers des Grundstücks, auf dem die Umweltverschmutzung entstanden ist, und des Verursachers vorsieht

 

Normenkette

AEUV Art. 191, 193; Richtlinie 2004/35/EG

 

Beteiligte

Túrkevei Tejtermelő Kft

Túrkevei Tejtermelő Kft

Országos Környezetvédelmi és Természetvédelmi Főfelügyelőség

 

Tenor

1. Die Bestimmungen der Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden sind im Licht der Art. 191 und 193 AEUV dahin auszulegen, dass sie, sofern der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/35 fällt – was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist –, einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, die neben den Betreibern von Grundstücken, auf denen eine rechtswidrige Verschmutzung entstanden ist, eine weitere Kategorie von Personen bestimmt, die für einen solchen Umweltschaden gesamtschuldnerisch haftet, nämlich die Eigentümer der Grundstücke, ohne dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Verhalten der Eigentümer und dem festgestellten Schaden nachgewiesen werden müsste, sofern diese Regelung den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts sowie jeder einschlägigen Bestimmung des EU-Vertrags, des AEU-Vertrags und der Rechtsakte des abgeleiteten Unionsrechts entspricht.

2. Art. 16 der Richtlinie 2004/35 und Art. 193 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie, sofern der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/35 fällt, einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, nach der die Eigentümer von Grundstücken, auf denen eine rechtswidrige Verschmutzung entstanden ist, nicht nur zusammen mit den Betreibern dieser Grundstücke gesamtschuldnerisch für einen solchen Umweltschaden haften, sondern die zuständige nationale Verwaltungsbehörde gegen sie auch eine Geldbuße verhängen kann, sofern eine solche Regelung geeignet ist, zur Verwirklichung des Ziels eines verstärkten Schutzes beizutragen, und sofern die Methoden für die Bestimmung der Höhe der Geldbuße nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Szolnoki Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Verwaltungs- und Arbeitsgericht Szolnok, Ungarn) mit Entscheidung vom 18. Februar 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 1. März 2016, in dem Verfahren

Túrkevei Tejtermelő Kft.

gegen

Országos Környezetvédelmi és Természetvédelmi Főfelügyelőség

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin A. Prechal, des Richters A. Rosas, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Országos Környezetvédelmi és Természetvédelmi Főfelügyelőség, vertreten durch Z. Szurovecz und L. Búsi als Bevollmächtigte,
  • der ungarischen Regierung, vertreten durch Z. Fehér, G. Koós und A. M. Pálfy als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch E. White und A. Tokár als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 16. Februar 2017

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 191 und 193 AEUV und der Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden (ABl. 2004, L 143, S. 56).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Túrkevei Tejtermelő Kft. (im Folgenden: TTK) und der Országos Környezetvédelmi és Természetvédelmi Főfelügyelőség (Nationale Aufsichtsbehörde für Umwelt- und Naturschutz, Ungarn, im Folgenden: Aufsichtsbehörde) wegen einer gegen TTK verhängten Geldbuße aufgrund einer illegalen Abfallverbrennung, die auf einem ihr gehörenden Grundstück stattgefunden und zu einer Luftverschmutzung geführt hat.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Die Richtlinie 2004/35 wurde auf der Grundlage von Art. 175 Abs. 1 EG, jetzt Art. 192 Abs. 1 AEUV, erlassen und sieht Verfahren für den Erlass von Regelungen zur Umsetzung der in Art. 191 Abs. 1 AEUV genannten Ziele der Umweltpolitik durch die Europäische Union vor.

Rz. 4

Die Erwägungsgründe 1, 2, 4, 13, 18, 20 und 24 der Richtlinie 2004/35 lauten:

„(1) Es gibt in der Gemeinschaft heute zahlreiche kontaminierte Standorte, die ein erhebliches Gesundheitsrisiko darstellen, und der Verlust an biologischer Vielfalt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch beschleunigt. We...

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