Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Bedingungen für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen. Ablehnung der Zulassung. Begriff der ‚Bedrohung für die öffentliche Sicherheit’. Beurteilungsraum
Normenkette
Richtlinie 2004/114/EG Art. 6 Abs. 1 Buchst. d
Beteiligte
Bundesrepublik Deutschland |
Tenor
Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/114/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 über die Bedingungen für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen zur Absolvierung eines Studiums oder zur Teilnahme an einem Schüleraustausch, einer unbezahlten Ausbildungsmaßnahme oder einem Freiwilligendienst dahin auszulegen ist, dass die zuständigen nationalen Behörden, bei denen ein Drittstaatsangehöriger ein Visum zu Studienzwecken beantragt, über einen weiten Beurteilungsspielraum verfügen, wenn sie anhand aller die Situation des Drittstaatsangehörigen kennzeichnenden relevanten Umstände prüfen, ob er eine – auch nur potenzielle – Bedrohung für die öffentliche Sicherheit darstellt. Diese Bestimmung ist außerdem dahin auszulegen, dass sie die zuständigen nationalen Behörden nicht daran hindert, einem Drittstaatsangehörigen, der einen Hochschulabschluss einer Universität besitzt, die wegen ihres umfangreichen Engagements gegenüber der iranischen Regierung in militärischen oder militärisch relevanten Bereichen restriktiven Maßnahmen der Union unterliegt, und der in dem betreffenden Mitgliedstaat in einem für die öffentliche Sicherheit sensiblen Bereich forschen möchte, die Zulassung in das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats zu Studienzwecken zu verweigern, wenn die Behörden aufgrund der ihnen vorliegenden Informationen Anlass zu der Befürchtung haben, dass die Kenntnisse, die der Betreffende bei seiner Forschung erwürbe, später zu Zwecken verwendet werden könnten, die der öffentlichen Sicherheit zuwiderlaufen. Es ist Sache des mit einer Klage gegen diese Entscheidung befassten nationalen Gerichts, zu prüfen, ob die Entscheidung der zuständigen nationalen Behörden, das beantragte Visum nicht zu erteilen, auf einer ausreichenden Begründung und einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Berlin (Deutschland) mit Entscheidung vom 14. Oktober 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Oktober 2015, in dem Verfahren
Sahar Fahimian
gegen
Bundesrepublik Deutschland,
Beteiligte:
Stadt Darmstadt,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidenten M. Ilešič, L. Bay Larsen, T. von Danwitz und E. Juhász, der Kammerpräsidentinnen M. Berger und A. Prechal, der Kammerpräsidenten M. Vilaras und E. Regan (Berichterstatter) sowie der Richter A. Rosas, A. Borg Barthet, D. Šváby, E. Jarašiūnas und C. Lycourgos,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. September 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Sahar Fahimian, vertreten durch Rechtsanwalt P. von Auer,
- der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und T. Henze als Bevollmächtigte,
- der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet und M. Jacobs als Bevollmächtigte,
- der griechischen Regierung, vertreten durch T. Papadopoulou als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas, F. X. Bréchot und E. Armoët als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von W. Ferrante, avvocato dello Stato,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga und F. Erlbacher als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. November 2016
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/114/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 über die Bedingungen für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen zur Absolvierung eines Studiums oder zur Teilnahme an einem Schüleraustausch, einer unbezahlten Ausbildungsmaßnahme oder einem Freiwilligendienst (ABl. 2004, L 375, S. 12).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Sahar Fahimian und der Bundesrepublik Deutschland wegen deren Weigerung, ihr ein Visum zur Absolvierung eines Studiums zu erteilen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2004/114
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 6, 7, 14, 15 und 24 der Richtlinie 2004/114 heißt es:
„(6) Ein Ziel der bildungspolitischen Maßnahmen der Gemeinschaft ist es, darauf hinzuwirken, dass ganz Europa im Bereich von Studium und beruflicher Bildung weltweit Maßstäbe setzt. Die Förderung der Bereitschaft von Drittstaatsangehörigen, sich zu Studie...