Entscheidungsstichwort (Thema)
Justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen. Gerichtliche Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen. Verordnung (EG) Nr. 44/2001. Art. 71. Von den Mitgliedstaaten über besondere Rechtsgebiete geschlossene Übereinkommen. Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR)s
Beteiligte
Tenor
1. Art. 71 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass in einer Rechtssache wie der des Ausgangsverfahrens die in einem Übereinkommen über ein besonderes Rechtsgebiet vorgesehenen Regeln über die gerichtliche Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung, wie z. B. die Rechtshängigkeitsregel in Art. 31 Abs. 2 des am 19. Mai 1956 in Genf unterzeichneten Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr in der Fassung des am 5. Juli 1978 in Genf unterzeichneten Protokolls oder die Vollstreckbarkeitsregel in Art. 31 Abs. 3 dieses Übereinkommens, zur Anwendung kommen, sofern sie in hohem Maße vorhersehbar sind, eine geordnete Rechtspflege fördern, es erlauben, die Gefahr von Parallelverfahren so weit wie möglich vermeiden, und den freien Verkehr der Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie das gegenseitigen Vertrauen in die Justiz im Rahmen der Union (favor executionis) unter mindestens ebenso günstigen Bedingungen gewährleisten, wie sie in der genannten Verordnung vorgesehen sind.
2. Der Gerichtshof der Europäischen Union ist für die Auslegung von Art. 31 des geänderten Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr nicht zuständig.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach den Art. 68 EG und 234 EG, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) mit Entscheidung vom 28. November 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Dezember 2008, in dem Verfahren
TNT Express Nederland BV
gegen
AXA Versicherung AG
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts, J.-C. Bonichot, der Kammerpräsidentinnen R. Silva de Lapuerta und C. Toader sowie der Richter K. Schiemann, P. Kūris, E. Juhász, M. Ilešič (Berichterstatter), J.-J. Kasel und M. Safjan,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. November 2009,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der TNT Express Nederland BV, vertreten durch J. H. J. Teunissen, advocaat,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und Y. de Vries als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,
- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und J. Kemper als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A.-M. Rouchaud-Joët und R. Troosters als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 28. Januar 2010
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 71 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1) sowie von Art. 31 des Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR), unterzeichnet am 19. Mai 1956 in Genf in der Fassung des am 5. Juli 1978 ebenda unterzeichneten Protokolls (im Folgenden: CMR).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der TNT Express Nederland BV (im Folgenden: TNT) und der AXA Versicherung AG (im Folgenden: AXA) wegen der Vollstreckung von Entscheidungen eines deutschen Gerichts in den Niederlanden, mit denen TNT verurteilt wurde, für den Verlust von Waren im grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr Schadensersatz zu leisten.
Rechtlicher Rahmen
Die Verordnung Nr. 44/2001
Rz. 3
Der erste Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 lautet:
„Die Gemeinschaft hat sich zum Ziel gesetzt, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem der freie Personenverkehr gewährleistet ist, zu erhalten und weiterzuentwickeln. Zum schrittweisen Aufbau dieses Raums hat die Gemeinschaft unter anderem im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen die für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlichen Maßnahmen zu erlassen.”
Rz. 4
Im sechsten Erwägungsgrund dieser Verordnung wird festgestellt:
„Um den freien Verkehr der Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zu gewährleisten, ist es erforderlich und angemessen, dass die Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entsche...