Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Rechtshängigkeit. Zuerst angerufenes Gericht. Begriffe ‚verfahrenseinleitendes Schriftstück’ oder ‚gleichwertiges Schriftstück’. Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens, um vor einem Prozess Beweise für einen Sachverhalt zu sichern oder zu erheben, auf den eine spätere Klage gestützt werden kann

 

Normenkette

Verordnung (EG) Nr. 44/2001 Art. 27, 30 Nr. 1

 

Beteiligte

HanseYachts

HanseYachts AG

Port D'Hiver Yachting SARL

Société Maritime Côte D'Azur

Compagnie Generali IARD SA

 

Tenor

Art. 27 Abs. 1 und Art. 30 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sind dahin auszulegen, dass in einem Fall der Rechtshängigkeit der Zeitpunkt, zu dem ein Verfahren der Beweisaufnahme vor einem Prozess eingeleitet worden ist, nicht den Zeitpunkt darstellen kann, zu dem im Sinne von Art. 30 Nr. 1 ein Gericht als „angerufen gilt”, das über eine Klage zu entscheiden hat, die im selben Mitgliedstaat später aufgrund des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme erhoben worden ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Stralsund mit Entscheidung vom 8. Januar 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Januar 2016, in dem Verfahren

HanseYachts AG

gegen

Port D'Hiver Yachting SARL,

Société Maritime Côte D'Azur,

Compagnie Generali IARD SA

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin A. Prechal, des Richters A. Rosas, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der HanseYachts AG, vertreten durch Rechtsanwalt O. Hecht,
  • der Port D'Hiver Yachting SARL, vertreten durch Rechtsanwalt J. Bauerreis,
  • der Société Maritime Côte D'Azur, vertreten durch Rechtsanwältin A. Fischer,
  • der Compagnie Generali IARD SA, vertreten durch den Präsidenten C. Tendil im Beistand von Rechtsanwalt J. Laborde,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Heller und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. Januar 2017

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 30 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der HanseYachts AG einerseits und der Port D'Hiver Yachting SARL, der Société Maritime Côte D'Azur (im Folgenden: SMCA) und der Compagnie Generali IARD SA (im Folgenden: Generali IARD) andererseits, in dem HanseYachts eine negative Feststellungsklage erhoben hat, mit der sie feststellen lassen möchte, dass gegen sie keinerlei Ansprüche wegen eines von SMCA geltend gemachten Schadens bestehen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Der 15. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 lautet:

„Im Interesse einer abgestimmten Rechtspflege müssen Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden, damit nicht in zwei Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen. Es sollte eine klare und wirksame Regelung zur Klärung von Fragen der Rechtshängigkeit und der im Zusammenhang stehenden Verfahren sowie zur Verhinderung von Problemen vorgesehen werden, die sich aus der einzelstaatlich unterschiedlichen Festlegung des Zeitpunkts ergeben, von dem an ein Verfahren als rechtshängig gilt. Für die Zwecke dieser Verordnung sollte dieser Zeitpunkt autonom festgelegt werden.”

Rz. 4

Kapitel II „Zuständigkeit”) der Verordnung Nr. 44/2001 enthält einen Abschnitt 2 „Besondere Zuständigkeiten”), in dem Art. 5 vorsieht:

„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:

1.

  1. wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre;
  2. im Sinne dieser Vorschrift – und sofern nichts anderes vereinbart worden ist – ist der Erfüllungsort der Verpflichtung

    • für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen;

3. wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem das Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht;

…”

Rz. 5

In Abschnitt 7 „Vereinbarung über die Zuständigkeit”) des Kapitels II der Verordnung Nr. 44/2001 best...

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